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Leichenberg 09/2005

 

Burn Case Der beste Trash, der zur Zeit für - allerdings teures - Geld zu haben ist, kommt von dem amerikanischen Duo Preston/Child. Burn Case. Geruch des Teufels (Droemer, HC) heisst der neue Superschlocker, in dem die beiden es wieder genüßlich krachen lassen. Spratzelnde Prätention (»Sie vermag der Violine eine wahrhaft göttliche Musik zu entlocken«) kreuzt sich munter mit krachlederner Brutalität (»...in der Qual des kochenden Fetts unter der Haut seiner Lippen...«). H.P. Locvecraft, E.A.Poe, Wilkie Collins, Vermeer und Leonardo da Vinci usw. fügen sich genauso bruchlos wie der Teufel und die Mikrowelle, Stradivari-Geigen und Raketentechnologie zusammen. Der Plot hoppst und twisted sich fröhlich durch mittelalterliche Geheimbünde, irre Wanderprediger, apokalyptische Wahrsagungen, böse amerikanische Schurken, die mit den Chinesen Geschäfte machen - und der Oberschurke ist natürlich ein europäischer Adliger mit Lebensart. Das Ganze wird zusammengehalten durch einen Südstaaten-Gentleman, der für das FBI arbeitet und Preston/Childs Serienheld ist: Agent Aloysius Pendergast, der aussieht wie aus Twilight Zone entsprungen. Und dieser ganze wunderbar haarsträubende Unfug ist mit einer solch charmanten Chuzpe zusammengebaut, dass man sich am Ende gar nicht mehr zu schämen wagt, sich an Albernheiten festgelesen zu haben. Toll!

Das Gesicht Überhaupt Trivialschlocker: In England feiert seit geraumer Zeit Martina Cole Triumphe. Das Gesicht (Heyne) ist, von seiner literarische Organisation her betrachtet, von eher sehr überschaubarer Komplexität, also unendlich schlicht. Aber die böse und grimmige Geschichte von der Hure Joanie, die ein anständiger Mensch ist und ihre Kinder gut durchbringen möchte, bis ihre jüngste Tochter ermordet wird - diese Geschichte hat bei aller Rührseligkeit, trotz Klischee und Topik einen sehr realitätstüchtigen Kern. Cole schaut genau hin - und was sie sieht in der englischen Gesellschaft ist nicht schön und das schreibt sie in schlichten Worten auf. Und genau das macht den himmelweiten Unterschied zu dem abstossenden, zuckrigen Quatsch aus, den uns die Damen George & Co als Kriminalromane verkaufen wollen.

In der letzten Ausgabe hatte ich auf »Der Köder« von P.J. Tracy (rororo) hingewiesen. Durchgerutscht war mir der Erstling der beiden Damen aus Minnesota, die unter dem Pseudonym P.J. Tracy schreiben. Der heisst Spiel unter Freunden (rororo) und ist mindestens so empfehlenswert wie der Nachfolger. Wir lernen hier schon Leo Magozzi und Gino Rolseth, die beiden scharfzüngigen Cops kennen, und erfahren die Geschichte der begnadeten Paranoikerin Grace MacBride und die ihres dito paranoiden Hundes gleich mit. »Spiel unter Freunden« ist ähnlich elegant geplottet wie »Der Köder«, die Dialoge sind grosse Klasse, die Konfliktlage trotz allem Irrsinn sehr plausibel. Auch hier geht ein serial killer um, der für seine Taten gute (also schlechte) Gründe hat und keines der handelsüblichen Schlitzmonster ist. Das christlich-fundamentalistische, sozusagen gesellschaftsunabhängige »Böse« ist wieder in die Mitte der zutiefst verwirrten amerikanischen Gesellschaft zurückgekehrt und findet dort genügend Daseinsgrund. So gesehen kann man damit auch wieder literarisch etwas anfangen.

Der Prachtband des Monats heisst »Nüüd appartiges ...« Sechs gezeichnete Geschichten (Limmat) und weist als Verfasser Hannes Binder und Friedrich Glauser aus. Natürlich handelt es sich um die zu einem Band zusammengefassten, teilweise schon publizierten Arbeiten des grossen Schweizer Illustrators Hannes Binder zu Texten des grossen Schweizer Romanciers Friedrich Glauser. Ob es sich dabei um Comics handelt oder um Illustrationen oder um irgendetwas für die Kombination von Text und Bild Neues ist egal. Wachtmeister Studer trifft Glauser und beide Binder - und das ist nicht postmodern autoreflexiv, sondern sozusagen künstlerisch notwendig. Man muss dieses ästhetische Klein-, naja, besser: Groß-Od nicht unbeding auslegen und kommentieren, man kann sich auch still und glücklich daran weiden.

 

© Thomas Wörtche, 2005

 

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