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Leichenberg 08/2005

 

Todesmuster Die Crux vieler bloß gutgemeinter, aber nicht gutgemachter Polizei-Romane erklärt sich so, dass sie von Intellektuellen geschrieben sind, die sich nicht wirklich für ihre Erzählgegenstände interessieren. Deswegen haben die dort auftretenden Polizisten oft die Probleme von Intellektuellen. Heraus kommt etwas Ähnliches, wie wenn Bademeister Romane über Priester schreiben. Deswegen liegt der Kalauer nahe, dass die Polizei-Romane von Norbert Horst, der in der Tat Polizist ist, Literatur der Polizei-Arbeitswelt seien, also etwas schlichte Romane. Cop novels und police procedurals sind aber nun mal per Definition Literatur aus der Arbeitswelt der Polizei. Und manchmal exzellente Literatur. Todesmuster (Goldmann) ist Horsts zweites Buch. Seine Prosa wird vom Stakkato getrieben, Witz und Ironie sind perfekt eingewoben, und ein Mordfall inklusive Täter, aber ohne Leiche ist eine schöne Idee. Die Arbeitswelt der Polizei ist eben nicht langweilig, nicht dramaturgisch ungeschickt, sondern, wenn man die Sprache dafür hat, spannend, differenziert und ästhetisch ergiebig. Horst entwickelt eine Sprache dafür. Nach dem ersten Buch war er ein Talent, nach dem zweiten ist er ein Riesentalent, aufs dritte freuen wir uns schon jetzt.

Die Stunde des Wolfs Sehr gefreut habe ich mich auf einen neuen Roman von Alan Furst. Mit seinen frühen Romanen »The Paris Drop«, »The Caribbean Account« und »Shadow Trade« aus den 80ern gehörte er zu den feinsten Thrillerautoren, mit dem kapitalen Roman »Night Soldiers« (1988) betrat er dann historisches Terrain. Die Stunde des Wolfs (Blessing) erzählt jetzt die Geschichte eines holländischen Trampdampfers im 2. Weltkrieg - und ist merkwürdig unpointiert, irgendwie second-hand-artig, museal und steif. Dauernd spukt mir Jan de Hartogs ähnlich gelagerter Roman »Kapitän Harinx« als role model durch den Kopf. Und wenn in der deutsche Fassung schon im ersten Satz die Abenddämmerung »heraufzieht«, als käm ein neuer Tag, dann befeuert mich die Lektüre nicht unbedingt. Schade.

Schade auch, dass Jonathan Smith eine gute Idee vergeigt: Fenster zur Nacht (dtv) geht davon aus, dass ein Unbekannter die Identität eines Schuldirektors okkupiert und in dessen Namen allerlei schlimme Dinge tut. Und was macht Smith daraus? Eine sterbenslangweilige Selbstfindungskiste eines ziemlich aufgeblasenen britischen Möchtegern-Denkers. Och, nee ...

Da loben wir uns eine gute Idee, die einen ganzen Roman lang trägt: Des Todes dunkler Bruder von Jeff Lindsay (Knaur) - serial killer gegen serial killer, und das Ganze sehr komisch aufgezogen. Ja, so kann man umgehen mit ihnen, mit unseren Pappkameraden der Kriminalliteratur.

Der Köder Richtige gute Kriminalliteratur kommt von P.J. Tracy (ein Mutter& Tochter-Pseudonym). Der Köder (rororo) heisst ihr zweites Buch. Komplexe Handlung, originelle und plausible Figuren, sehr intelligente Dialoge, Witz und Sarkasmus und scharf beobachtete Menschen, nebst einem Hauch von Wahnsinn. Die beiden Detectives Leo Magozzi und Gino Rolseth sind ein extrem starkes Duo, selbst Minnesota wird plötzlich spannend - und wir sollen bei allem global crime nicht vergessen, dass die Amis auch hin und wieder grandiose Kriminalliteratur produzieren.

Der Klassiker des Monats ist ein neuer Band der Joseph Hansen-Ausgabe: Nachtarbeit (Ariadne). Ich nerve gerne durch Wiederholung: Die Geschichte der pi-novel bewegt sich von Hammett zu Chandler zu Macdonald zu Hansen. In dieser Größenordnung ist er einzuschätzen, in diese Reihe gehört er.

Am Ende noch zwei Steinbrüche: Wer wissen will, wie wahnwitzig realpolitische Intrigen wirklich laufen können und warum life oft wirklich stranger than fiction ist, der lese Volker Reinhardts brillant geschriebene Biographie Der Unheimliche Papst. Alexander VI. Borgia (C.H. Beck). Ein realpolitisches Monster, das alle Dan Browns unserer Tage wie naive Jünglinge aussehen lässt.

Und wer wissen will, woraus sich die Populären Mythen der Italo Western bis zu Paco Ignacio Taibo und Guillermo Arriaga speisen, der erfreue sich an John Reeds klassischen Reportagen aus dem Mexikanischen Bürgerkrieg: Eine Revolutionsballade. Mexiko 1914 (Eichborn).

 

© Thomas Wörtche, 2005

 

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