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Leichenberg 10/2005

 

Die Höhle der Löwin Es gibt Milieus und Schauplätze, die so gar nichts Attraktives, Leckeres oder »Exotisches« oder wohlig Geheimnisvolles haben. Rumänische »Klaukinder« zum Beispiel oder auch Bukarest. Da ist noch nicht einmal schräge Morbidezza zu holen. Und insofern ist es sicher kein Zufall, dass Astrid Paprotta ihren neuen Roman Die Höhle der Löwin (Piper) genau in diesem Umfeld spielen lässt. Ähnlich un-opulent, vielmehr selbstbewußt spröde ist die Machart des Romans. Ina Henkel, Kriminalkommissarin aus Frankfurt, die mit guten persönlichen Gründen an ihrem Job zweifelt, muss nach Bukarest, um eine entflohene Strafgefangene zurückzuholen, mit der sie eine komplizierte Geschichte verbindet. Es handelt sich um Denise Berninger, die wir aus Paprottas letztem Buch, »Die ungeschminkte Wahrheit«, kennen. Berninger ist eine Mörderin, deswegen wurde sie von Henkel verhaftet. Aber von ihrer moralischen Schuld ist die Polizistin nicht überzeugt. Diesen Konflikt nimmt Paprotta ebenso ernst wie das Schicksal der oben erwähnten Klaukinder, die mit dem Hauptplot verwoben sind. Ernst nehmen heisst in diesem Fall: Mit erzählerischen Mitteln den Konflikten auf den Grund zu gehen und dabei keine konsumorientierten Kompromisse zu machen. Das Ergebnis ist ein fein ziselierter Roman, der Realitäten und psychologischen Dispositionen mit analytischer Schärfe, intellektueller Brillanz und hoher sprachlicher Bewusstheit zu Leibe rückt. Kriminalliteratur auf der Höhe ihrer Fähigkeiten.

Die Toten von Santa Clara Und somit das genaue Gegenteil eines lauttönend psychologisierend daherstampfenden Buches: Die Toten von Santa Clara (Page & Turner) von Robert Wilson. Der Roman spielt in Sevilla, was wir hauptsächlich daran merken, dass selbst die banalsten Alltagsdinge durch die spanische Schreibweise (Wilson schreibt auf Englisch) irgendwie geadelt werden müssen: Der »Médico Forense« ist einfach der Rechtsmediziner. Nichts mehr, nichts weniger. So prätentiös wie dieses Aufpeppen ist jede Szene mit Inspector Jefe Javier Falcón, der in psychoanalytischer Behandlung ist, dennoch Dienst tut und aus jeder Vernehmung, jeder Handlung, jedem Dialog wiederum eine kleine Psychosession macht. Und damit die Geschichte um einen anscheinenden Selbstmord im Villenviertel von Sevilla nicht ganz und gar psychologisch bleibt, mischen die üblichen Verdächtigen mit: Die Russen, die Amis und die Korruption. Ja, Spanien ist auch schwer globalisiert.

Bei Wilson war ein Hauptfigur Amateurschlachter. In Jacob Vis' Silvesterknaller (Grafit) ziehen wir gleich ins Schlachthofmilieu ein, was den Vorteil hat, dass dort allerlei häckselndes Gerät zur Verfügung steht. Da, wo es wirklich um die holländische Fleischwirtschaft geht, ist der Roman von Vis in der Tat sehr schön gelungen. Da wächst, man verzeihe den Kalauer, wirklich erzählerisches Fleisch auf den dürren Plot-Knochen. Aber wenn die böse Lady dann zum Sex-Monster wird, jau, dann fliegt auch jede Glaubwürdigkeit flugs in den Häckseltrichter.

Da hilft nur ein grosser Sprung durch Raum und Zeit: China, 1728. Ein Brief an den Qing-Kaiser Yong-zheng weitet sich zu einer Staatsaffäre aus: Verrat, Loyalität, Rebellion und Macht - die klassischen Ingredienzien eines Polit-Thrillers. Der grosse Sinologe Jonathan D. Spence hat diese Affäre aus den Akten der Zeit rekonstruiert. Verräterische Bücher (Hanser) ist ein Sachbuch, für das ausnahmsweise der ansonsten hohle Werbespruch »spannend wie ein Krimi« zutrifft. Außerdem ein Beleg dafür, wie aufregend Kulturen sind, die auf der Schrift basieren. Philologie als Thriller, Textauslegung als Abenteuer, ganz ohne Spekulation und Mythoquack.

Zum Schluß seien noch dringend neun Miniaturen empfohlen: Balkan Blues (Diogenes) von Petros Makaris. Neunmal Athen zwischen Europameisterschaft und Olympiade, kleine Protokolle des alltäglichen Wahnsinns mit und ohne meinen Lieblingsknasterkopf Kommissar Charitos und garantiert ohne einen Hauch Folklore. Comme il faut.

 

© Thomas Wörtche, 2005

 

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