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Wörtches Crime Watch 03/2009

 

John Farrow: Eishauch

 

Eishauch

»Eishauch« von John Farrow ist ein bemerkenswertes Buch. Eine sehr gut informierte Geschichte aus Montreal, über die Verzahnung von Motorradbanden, korrupter Polizei, Mafia, dem russischen Organisierten Verbrechen, dessen geheimdienstlichen Aspekten, dem Wirken der CIA auf kanadischem Boden und dem französisch-englischen Problemverhältnis in der Provinz Quebec. Dazu ein Liebesroman und das Porträt eines einzelgängerischen, nicht-korrupten, aber robusten Polizisten - Sergeant-Detective Émile Cinq-Mars. Inszeniert als Mischung aus Polizeiroman und Politthriller, wobei wieder einmal klar wird, warum gute Polizeiromane auch oft gute Politthriller sind: Weil sich beide mit den politischen Dimensionen beschäftigen, ohne die es keine Polizeiarbeit gibt. „Eishauch“ ist also ein hochkomplexes Buch, hochkomplex geschrieben, aber mit der Kardinaltugend, leicht lesbar zu sein. Komplizierte Plots funktionieren, wenn man für intelligente Leser schreibt, nämlich ganz einfach, wenn man weiß, was man zu erzählen hat.

Sgt. Cinq-Mars auf jeden Fall muss sich innerhalb seiner politischen Möglichkeiten, die er als kompetenter Cop mit einem weitreichenden Informantensystem hat, zur Wehr setzen, als jemand beginnt, seine Zuträger umzubringen. Dass er als Cop seinerseits von Geheimdiensten, denen an dem einen oder anderen menschlichen Kollateralschaden wenig liegt, übel manipuliert wird, zieht er ins Kalkül. Und macht sich mit seinem englisch-sprachigen Kollegen Mathers auf in den Krieg. Effektiv, reflektiert und gewaltsatt. So treibt Farrow den Roman auf seinen Kern hin: Wie verbrecherisch darf man sein, um Verbrechen zu bekämpfen? Wie kann man dabei effektiv sein, obwohl man sehr wohl weiß, dass "das Verbrechen" nicht besiegbar ist? Solche Fragen gehören keinesfalls nur ins moral- oder rechtsphilosophische Oberseminar, sie gehören auch in die Literatur. »Eishauch« kann diese Fragen diskutieren, weil er ein überzeugender, ästhetisch und erzählerisch perfekt funktionierender Roman ist.

Betrüblich dabei ist, dass das Taschenbuch aufgemacht ist wie eine Allerweltsschote, weil der Verlag vermutlich nicht weiß, was er da hat. Schade, dass wir (fast) nichts über "John Farrow" erfahren, der als Trevor Ferguson zu den feinsten Namen der kanadischen Literatur zählt. Schon das wäre bemerkenswert, weil hier etwas funktioniert, was in der deutschsprachigen Literatur regelmässig im Desaster endet: Ein high-brow-Literat schreibt Genre und zwar nicht, weil es gerade Mode ist, sondern weil er's kann. Der zweite, nicht übersetzte Cinq-Mars-Roman, »Ice Lake« bestätigt das.

Betrüblich auch, dass der Roman zehn Jahre gebraucht hat, um bei uns anzukommen. Noch betrüblicher: Dass die Situation im Krimi-Kontext es zur Zeit schwer zuläßt, einem Kaliber dieses Ausmasses den gebührenden Platz im Bewußtsein der Leser zu schaffen. Gegen alle die albernen Grimmis, die nichts zu erzählen haben, gegen das ganze aufgeblasene, gehypte Zeug, gegen all die Retro-Manie. In einer Zeit, in der uralte Konzepte von Westlake & Co. (nichts gegen Westlake, alles gegen eine bewußtlose Akklamation) als originell gefeiert werden, haben es Bücher mit Substanz und Brissanz ziemlich schwer. Aber klagen gilt nicht: Feiern wir John Farrow, Émile Cinq-Mars, sein Montreal und das Vergnügen an intelligenter Literatur, das sie uns bescheren.

John Farrow: Eishauch. (City of Ice, 1999). Aus dem kanadischen Englisch von Friederike Levin. Deutsche Erstausgabe. München: Knaur, 2009, Knaur Taschenbuch Nr. 63514, 587 S., 8.95 Euro (D).

 

© Thomas Wörtche, 2009

 

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