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Der Ekel des Alltags

Wie in seinen vorherigen Romanen hat der schottische Autor Stuart MacBride mit »Blut und Knochen« einen Serial-Killer-Roman vorgelegt. MacBrides Roman funktioniert allerdings anders als die üblichen Werke des Subgenres, die das Thema bis zum Überdruss durchnudeln: Mit seiner lebensechten "Fleischer"-Figur überdreht er das konventionelle Serienmord-Drama und führt es ad absurdum.

Von Thomas Wörtche

 

Blut und Knochen

"Der Fleischer" trägt eine Maggie-Thatcher-Maske zur blutigen Metzgerschürze. Er schlachtet seine Opfer, zerteilt sie, bereitet sie entweder gleich zu oder speist sie protioniert in den Warenkreislauf für Gefrier- und Frischfleisch ein. "Der Fleischer" ist ein Serialkiller. Also einer jener überflüssigen Gesellen, die schon zu lange die Kriminalliteratur bevölkern? Nein, so einfach ist es hier nicht. Denn diese finstere Gestalt ist von dem schottischen Autor Stuart MacBride erfunden worden, der in seinem viertem Roman, "Blut und Knochen", den Topos "Serialkiller" noch wahnwitziger ad absurdum traktiert als er dies in den ersten drei Büchern schon getan hatte. Detective Sergeant Logan McRea von der Polizei im nordschottischen Aberdeen und ein ganzes Ensemble von inkompetenten und wenig kompetenten Polizisten, schrillen Exzentrikern, Gerichtsmedizinern und Journalisten bevölkern einen sehr wirklichkeitsnahen Arbeitsalltag. Helden gibt es da keine. Die Polizei ist eine fehleranfällige, pfuschende Behörde, die Hierarchien sind knallhart und brutal. MacBride erzählt nicht mit den Augen eines hochrangigen Chefermittlers, sondern aus der Perspektive derer, die stundenlang frierend im Auto sitzen, die in jedem buchstäblichen Dreck wühlen müssen, die von den Chefs gescheucht werden - also aus der Perspektive der Leute, die die manchmal arg widerwärtige Arbeit machen.

Komplex der Killer selbst und die Geschichte um ihn herum. "Der Fleischer" killt aus Gründen. Wen er jedoch schlachtet oder nur gefangenhält, das oszilliert zwischen Zufall und verblüffender "Notwendigkeit", es folgt keiner Pseudoästhetik und -Kultiviertheit à la Hannibal the Cannibal, sondern einer robust lebenspraktischeren (fuzzy-) Logik

Die Metapher vom "Fleischer" dreht MacBride ins Wörtliche: Das Fleisch der Opfer reiht sich in die industriell strukturierte Nahrungskette ein, Rindfleisch, Lamm & Mensch sind als Hackfleisch, Steak oder Keulenstück nicht unterscheidbar. Und das sagt eine Menge über unsere Lebensmittel(industrie). Der komische Schock entsteht dann z.B. durch ein Brustwarzenpiercing, das beim Schweinebug doch auffällig wäre.

Das krasse Showdown im Schlachthof ist mindestens dreifach codiert: Splatter, Grand Guignol und heftiger Realismus à la Upton Sinclairs »Dschungel«. Ständige Mehrsinnigkeit strukturiert den Roman: Serialkiller-Roman und kritische Parodie von Serialkiller-Roman; Polizeiroman und kritische Parodie von üblichen Polizeiromanen plus präzise Kritik an festgefahrenen Polizeistrukturen, die eher bedrohen denn schützen; Verwirrspiel um die Täteridentität und Parodie solcher Verwirrspiele, weil die fiktive Realität noch weit verwirrender ist als die realistische Fiktion. Knallhart realistischer Roman und Parodie knallhart realistischer Romane, wenn MacBride das Buch mit auf authentisch getrimmten Zeitungsausschnitten über die Morde des "Fleischers" spickt. Im Roman selbst verwischt er die Grenzen zwischen Realität und Halluzination, Suggestion und Autosuggestion - in den Visionen eines Fleischer-Opfers, das ein Stockholm-Syndrom entwickelt und für einen der verblüffendsten und tiefschwarzhumorigsten Romanschlüsse aller Zeiten sorgt.

Mit anderen Worten: »Blut und Knochen« benutzt sämtliche Klischees und Topoi des Genres und der Nachbargenres Horror und Splatter, um daraus Realismus, Trennschärfe, Komik und Tragik zu destillieren. Denn echte Tragik kommt immer dann ins Spiel, wenn der fürwitzige Leser endlich meint kapiert zu haben, wie der Hase läuft.

Stuart MacBride gehört ganz sicher zu den Autoren, deren Konzepte die Kriminalliteratur aus der derzeitigen komfortablen Belanglosigkeitsecke herausholen können.

 

Stuart MacBride: Blut und Knochen. (Flesh House, 2008). Roman. Aus dem Englischen von Andreas Jäger. Deutsche Erstausgabe. München: Goldmann, 2009, Goldmann Taschenbuch Nr. 47029, 538 S., 8.95 Euro (D).

© Thomas Wörtche, 2009
(Deutschlandradio Kultur,
04.06.2009
)

 

Ein Gespräch mit Thomas Wörtche über Stuart MacBrides Roman finden Sie auf der Internetseite des Deutschlandradios unter http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/892078/ oder gleich hier zum Reinhören (.mp3).

 

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