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Die ganze Welt ein großer literarischer Schauplatz

»Murnaus Vermächtnis« ist der elfte Roman des dreifachen Deutschen-Krimi-Preis-Trägers D.B. Blettenberg und wie seine Vorgänger ebenso wenig ein klassischer Kriminalroman. Beeindruckend ist die thematische Bandbreite des Werkes und die erzählerische Brillanz, mit der Blettenberg die Fülle des Stoffes zu einem knapp 600-Seiten-Roman in präziser, lakonischer Prosa verdichtet.

Von Thomas Wörtche

 

Murnaus Vermächtnis

»Murnaus Vermächtnis« ist der elfte Roman des dreifachen Deuschen-Krimi-Preis-Trägers D.B. Blettenberg. Ein klassischer "Kriminalroman" ist aber - genausowenig wie seine zehn Vorgänger - auch dieser Roman nicht. Er spielt hauptsächlich in Ghanas Hauptstadt Accra und in deren Hinterland, in Brandenburg, in Tunis, mit Abstechern unter anderem nach Polynesien und Kalifornien. Es geht um Magie, um Juju, Voodoo, um Okkultismus und Religion, um Realpolitik, Kolonialismus und Geschäftemacherei. Es geht um Liebe und Tod, Inzest und Identität, Gewalt, Verbrechen, Horror und Film. Und es geht um den großen Filmemacher Friedrich Wilhelm Murnau, aus dessen Œuvre uns mindestens »Nosferatu« ein Begriff sein sollte.

Die thematische Bandbreite des Romans um den in Ghana lebenden Ex-Legionär Victor Voss ist beeindruckend, denn alle oben aufgezählten Elemente hängen zusammen, so disparat und beliebig sie sich auf den ersten Blick ausnehmen mögen. Fast noch beeindruckender ist die erzählerische Brillanz, mit der Blettenberg diese Stoffmenge zu einem knapp 600-Seiten-Roman in präziser, oft lakonischer und sarkastischer Prosa verarbeitet.

Alles fängt ganz harmlos und thriller-typisch damit an, dass Voss einen dubiosen Schatzjäger ins Landesinnere von Ghana begleiten soll, was als professioneller Reisebegleiter nun einmal sein Job ist. Der Schatzjäger, der seltsamerweise keinen Schatten zu haben scheint, ist hinter verschollen geglaubtem Filmmaterial von Murnau her und stirbt eines unschönen Todes. So weit, so konventionell. Dann aber rückt Blettenberg ein ganzes Figurenensemble in den Mittelpunkt der Handlung, deren einzelne Mitglieder wir zunächst für die üblichen Randfiguren eines Thrillers zu halten versucht sind. Diese Figuren und die einzelnen Handlungselemente fügen sich mehr und mehr zu einem Roman über Victor Voss, seine Herkunft, seine Familie, seine Vergangenheit, seine Identität. Das Geheimnis um die Murnau-Filmrollen verwandelt sich Zug um Zug in das Geheimnis von Victor Voss, seiner Mutter, seines Vaters und deren prekäre, weil auch sehr deutsche Familiengeschichte. Dass nebenbei noch eine sehr brauchbare, knappe Biographie von Friedrich Wilhelm Murnau entstanden ist, wie es sie trotz Lotte Eisners berühmtes Murnau-Buch noch nicht gibt, sollte Verleger von Filmbüchern zur Kontaktaufnahme mit Blettenberg motivieren.

Dass Voss ein Mischling (wie etliche Figuren aus anderen Romanen Blettenberg, allen voran »Farang«) ist, steht für das Prinzip, das seine Literatur beschreibt. Als weit gereister Spezialist für Entwicklungspolitik ist ihm buchstäblich die ganze Welt ein großer literarischer Schauplatz, auf dem sich in keine simplen Kategorien zu pressende Dinge abspielen: Gewalt und Verbrechen sind überall, Menschen sind komplexe Wesen, Rationalität und Irrationales mischen sich stets und überhaupt und wie überall sind knallharte Interessen im Spiel. Und die erzählt Blettenberg mit ruhiger Souveränität, spannend und gleichzeitig entspannt. Man könnte seine Romane (politische) Abenteuerromane nennen, wie wir sie aus der angelsächsischen Tradition von Ross Thomas, Graham Greene oder Ernest Hemingway kennen. Und genau in diese Traditionslinie gehört Blettenberg.

 

D.B. Blettenberg: Murnaus Vermächtnis. Roman. Originalausgabe. Köln: DuMont, 2010, 575 S., 19.95 Euro (D).

© Thomas Wörtche, 2010
(Deutschlandradio Kultur,
25.05.2010
)

 

Ein Gespräch mit Thomas Wörtche über D.B. Blettenbergs Roman finden Sie auf der Internetseite von Deutschlandradio Kultur unter http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/1189868/ oder gleich hier zum Reinhören (.mp3).

 

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