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Wörtches Crime Watch 12/1998

Norbert Pütter: Der OK-Komplex

 

Die Realität ist ein umstritten Ding.Wer definiert sie? Wer verändert sie und wer verfügt über sie?

Das sind hier keine ästhetischen Fragen, sondern solche mit ganz handfesten juristischen, bürgerrechtlichen und lebensweltlichen Auswirkungen. Denn der Kampf um die Realität ist auf einem wichtigen Sektor der Innenpolitik entbrannt. Er geht um die sogenannte "Organisierte Kriminalität". Die staubtrockene, aber hochexplosive Studie des Politologen Norbert Pütter: "Der OK-Komplex", nimmt dieses folgenreiche Gerangel um einen Wirklichkeitsausschnitt analytisch auseinander. Der Untertitel gibt die Argumentationsrichtung vor: "Organisierte Kriminalität und ihre Folgen für die Polizei in Deutschland".

Pütter geht davon aus, daß es einen erstaunlichen Konsens der veröffentlichten Meinung darüber gibt, daß OK ungeheuer gefährlich sei und deswegen effektiv bekämpft werden müsse. Diesem Konsens steht ein dito erstaunlicher Mangel an Evidenz gegenüber. Erfahrungswerte der Bevölkerung gibt es kaum. Menschen sind von den Delikten betroffen, auch von solchen der organisierten Kriminalität. Die Rede von OK aber meint eine Vorgehensweise und deren Hintergründe. OK ist kein Straftatbestand, sondern ein Arbeitsbegriff für Praktiker der Verbrechensbekämpfung - und er meint notwendig Interpretation. Bei Erkenntnissen, die von Beteiligten stammen (also Bekenntnisliteratur sind) oder vom "investigativen" Journalismus erhoben werden, muß grundsätzlich das Eigen-Interesse der Aussagenden mitreflek-iert werden. Zudem läßt sich ein möglichlicherweise lückenlos recherierter Einzelfall nicht zur Systematik hochrechnen. Bleibt also die Polizei als einzige Quelle, deren Erkenntnisse in die Gesetzgebung und sonstige juristische Bearbeitung eingehen. Die Polizei hat sich die Definitionsmacht über "OK" gesichert.

Weil aber die Polizei (wie jede gesellschaftliche Einrichtung) kein interesseloses Institut ist, fangen an diesem Punkt die Probleme erst richtig an. Verbrechensbekämpfung ist zwar auch Prävention, vor allem aber wird die Polizei nach dem Legalitätsprinzip aktiv, wenn ein Delikt begangen worden ist und aufgeklärt werden muß. Beim OK ist das Delikt jedoch nicht entscheidend, sondern es sollen "kriminelle Milieus, Strukturen oder Tätergruppen" aufgedeckt werden können. Die Polizei will also nicht tradionell "reaktiv", sondern "proaktiv" agieren können, d.h. "nach Verdachtsmomenten für zukünftig zu erwartende Taten suchen". Dazu muß sie sich bestimmter Hypothesen bedienen, die Pütter mit dem schönen Terminus "Verdachtsschöpfung" bezeichnet. Weil OK logischerweise unsichtbar gedacht werden muß, müssen sich die Methoden zur Bekämpfung angleichen: Verdeckte Ermittler, abgeschottete Dienststellen, Informationshortung etc. drehen Polizeiarbeit in Richtung "Intelligence-Arbeit", also geheimdienstliche Methodik. An einem Gegenstand, für dessen Realität wir, notabene, sozusagen nur das Wort der damit befaßten Institution haben.

Und zudem magere Ergebnisse: Pütter kann mit Zahlen belegen, daß sich diese "Intelligence-Arbeit" der Polizei nur in geringem Umfang z.B. gegen "white-collar"-Kriminalität richtet - sie geriete ansonsten in starke Interessenskonflikte mit "beschwerdemächtigen" gesellschaftlichen Gruppen wie der Finanzwirtschaft - sondern wie gehabt klassische "kriminelle Milieus" bearbeitet: Das "Rotlichtmilieu" und "Ausländerkriminalität" mit den ebenfalls klassischen Deliktgruppen wie Drogen- und Waffenhandel, Schutzgelderpressung und (Zwangs-)Prostitution. Gleichzeitig demontieren die Instrumente (Lauschangriff, Verstöße gegen den Datenschutz etc.), die angeblich unabdingbar für die OK-Bekämpfung sind, den Bestand an Bürgerrechten.

OK-Bekämpfung soll aber überhaupt erst klären, was OK sein könnte. Nach dieser Logik kann alles verdächtig werden, also auch jeder. Die Unschuldsvermutung wird faktisch außer Kraft gesetzt. Belegt wird so generell geschöpfter Verdacht aber nur mit Erfolgen in alten "klassischen" Milieus. Dennoch ist es lächerlich, die Existenz von organisierter und Organisierter Kriminalität zu leugnen. Das macht die Problemlage nicht gemütlicher. In diesem Sinn frohe Weihnachten!

 

© Thomas Wörtche, 1998

 

Norbert Pütter:
Der OK-Komplex.

Organisierte Kriminalität und ihre Folgen
für die Polizei in Deutschland.
Münster: Westfälisches Dampfboot, 1998.
450 Seiten, DM 62.-

 

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