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Wörtches Crime Watch 10/2008

 

Misha Glenny: McMafia

 

McMafia

Es ist mal wieder richtig niedlich. Roberto Savianos Camorra-Buch "Gomorrha" wird gerade als Gangster-Epos verspielfilmt. Ein eben erscheinendes Buch über "Mafia. Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern" trötet ungeniert ins folkloristische Horn, die Cover-Werbung ist ein Höhepunkt gruslig-unfreiwilliger Komik: "Alles, was ich über die Mafia weiß, verdanke ich Petra Reski" (so heisst die Verfasserin), wird ausgerechnet Donna Leon zitiert, in deren Märchenbüchlein eines klar ist: Über "la mafia" und andere betrübliche Realitäten weiss Frau Leon absolut gar nichts. Warum auch?

Es ist kommod für das Organisierte Verbrechen, derart verblödelt und verdödelt als Marginalie der Yellow Pages abgebucht zu werden. Aber vermutlich ist sowas dem OK, dem Organisierten Verbrechen, auch völlig egal. Denn das OK ist ein ungeheuer vielschichtiges Phänomen, das sich kaum in Mustern darstellen läßt, die für einzelne, winzige Substrukturen gelten mögen, die gobal gesehen völlig unbedeutend und austauschbar sind, aber dennoch alle zusammenhängen.

Deswegen ist der klare Ansatz des Journalisten Misha Glenny, mit dem Thema umzugehen, so erfreulich. Er hat einen ähnlichen Ansatz wie Moses Naim: OK ist eine globale Veranstaltung, die sich längst nicht mehr anhand einzelner Verbrecherorganisationen beschreiben lässt. Glenny sagt es ganz einfach: Organisiertes Verbrechen ist eine "rationale Reaktion" auf die globale Entwicklung von Politik und Wirtschaft. OK hat, wie die "legale" Wirtschaft, einen einzigen Daseinsgrund: Geldverdienen. OK funktioniert grundsätzlich im Verbund mit legaler Politik, mit legaler Wirtschaft, mit legalen Finanzmärkten. Die Verflechtung ist inzwischen so intensiv, dass die Zuschreibungen "legal"/ "illegal" zunehmend leer werden.

Das wissen wir alles. Die Ungeheuerlichkeit, die darin steckt, und die uns auch keinen individuellen Ausweg läßt, weil wir alle täglich in irgendeiner Form von diesen Verhältnissen profitieren (billige Preise z.B.) und gleichzeitig davon bedroht sind (Existenzverlust aufgrund undurchschaubarer Manipulationen), ist vermutlich der Grund, warum wir das Problem so eifrig verdrängen.

Dabei bietet Glenny so kluge Einzelfallanalysen: Er beschreibt für verschiedene politische, geographische und wirtschaftliche Situationen, wie sich das OK in die jeweils existierenden Verhältnisse konstitutiv einfressen konnte. Das geht sehr unterschiedlich - das OK hat z.B. sich die zusammenfallende Sowjetunion einverleibt, während in China die Partei das OK für ihre Zwecke einspannt - und kann wegen der Fülle hervorragenden und klug arrangierten Materials hier leider nicht einmal andeutungsweise referiert werden.

Glennys Prinzip: Er schert nichts über einen Kamm und schaut sich die jeweilige Lage genau an. Dabei kommen auch liebgewordene Klischees ins Trudeln: Zum Beispiel ist ein "Profitcenter" von OK ohne Zweifel der Menschenhandel, zynisch, mies und gemein. Und trotzdem sind manche Operationen nur in unserem Blickwinkel "kriminell": Es gibt Dienstleistungsunternehmen in China, bei denen illegale Einreisen ihrer Kunden (nicht Opfer) mit zum Angebot gehören. Hocheffiziente Reisebüros also, die nicht zum Organisierten Verbrechen gehören, sondern nur den doppelmoraligen Bedarf westlicher Länder nach billigen Arbeitskräften bedienen. Was aber nicht heisst, dass die Nachbarorganisation nicht widerwärtig kriminell sein kann.

Fröhlich ist Glennys Botschaft nicht - legale und illegale Wirtschaft sind nicht zu unterscheiden. Man könnte etwas dagegen tun, wenn man wollte. Aber, auch das sagt er ganz einfach: Man will es nicht, weil dabei sehr viel Geld verdient wird. Man kann es vermutlich auch nicht, denn von welchem überidischen Standpunkt aus wäre so etwas zu legitimieren? Ganz bestimmt aber helfen kontraproduktive fiktionale und semifiktionale Märchenstunden nicht. Sie unterhalten nur besser. Und das ist durchaus nicht unbeabsichtigt.

Misha Glenny: McMafia. Die grenzenlose Welt des organisierten Verbrechens. (McMafia. Crime without Frontiers, 2008). Aus dem Englischen von Sebastian Vogel. München: Deutsche Verlagsanstalt, 2008, 528 S., 24,95 Euro (D).

 

© Thomas Wörtche, 2008

 

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