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Wörtches Crime Watch 10/2007

 

James Sallis: Driver

 

Driver Der Driver fährt Fluchtautos bei Raubüberfällen. Er ist Spezialist, Profi, teuer. Er macht seinen Job, alles andere interessiert ihn nicht. Er handelt nicht auf Weisung. Er bestimmt seinen Job selbst. Offizielle moralische Kategorien gibt es nicht in seiner Welt. Er folgt nur seiner eigenen Moral. Er redet wenig. Wenn er aber um seine Existenz kämpfen muss, tut er das. Dieser kriminelle Profi-Fahrer ist die Hauptfigur von James Sallis' schmalem Roman »Driver«.

Die Parallelen zu dem Film »The Driver« von Walter Hill (mit Ryan O`Neal in der Hauptrolle, mit Bruce Dern und der ganz jungen Isabelle Adjani) aus dem Jahr 1978 sind bemerkenswert. Auch dort agiert ein wortkarger Fahrer von Fluchtautos, der nur gut seinen Job erledigen und dafür viel Geld kassieren will. Im Film wie im Buch ist die Welt nicht so geschaffen, als dass die jeweiligen Fahrer mit ihren Konzepten und ihrer Haltung durchkommen werden. Der im Film wird von einem obsessiven Cop gejagt und am Ende von einer schönen Frau abgezockt. Im Buch muss der Fahrer sich eines obsessiven Gangsters erwehren, der ihn einfach nicht aus der Verantwortung für die Gier seiner betrügerischen Auftraggeber entlassen will.

Buch und Film stehen in keinem expliziten, aber in einem durchaus bewussten und irritierenden Verhältnis zueinander. Dass Sallis den Film von Hill nicht kennt, ist hochgradig unwahrscheinlich. Denn Sallis schreibt nicht nur Kriminalromane um den Privatdetektiv Lew Griffin, er ist unter anderem als Theoretiker des Genres profiliert, wenn ihn auch in diesem Fach eine verunglückte Chester-Himes-Biographie nicht allzu brillant aussehen lässt. Dennoch weiß er natürlich, dass das Kriminalgenre sich hauptsächlich in Roman und Film manifestiert, und dass es systematisch ganze Assoziationscluster und dialektische Bewegungen zwischen diesen beiden Medien gibt.

Der Roman »Driver« (der im Original neutraler »Drive« heißt) hat starke, implizite Bezüge zum Film: Der Driver - namenlos wie sein Kollege im Film - arbeitet als Stuntman für die Studios, als Action-Fahrer, als Double für Stars der B- und C-Productions (so wie der Film »The Driver« ein B-Movie war). Einer seiner wenigen Sozialkontakte ist der Drehbuchautor Manny Gilden: »Driver war noch weit vom Ende entfernt. Es dauerte Jahre, bevor er um drei Uhr an einem klaren, kalten Morgen in einer Bar in Tijuana zu Boden ging. Jahre, bevor Manny Gilden sein Leben verfilmte.«

Selbst in weniger auffälligen Szenen zitiert Sallis ständig Film- und Bilderwelten mit grossem kommunikativen Potential. Und meistens sind diese Zitate nicht ganz eindeutig, eher nur angedeutet. Wenn der Driver etwa das Haus gegenüber mustert, in die einzelnen Fenster, in einzelne Leben hineinschaut, ruft Sallis die einschlägigen Bilder von Alfred Hitchcocks »Rear Window« oder John Carpenters »Someone's Watching Me« auf, läßt allerdings auch an Edward Hopper'sche Einsamkeits-Tableaus in kalten Farben denken. Dass allerdings der Sallis'sche Driver ein Mensch mit schwarzer Haut ist, käme zunächst unserer eigenen Wahrnehmungsroutine ein bisschen in die Quere, wüssten wir nicht, dass Sallis` Serien-Held Lew Griffin ebenfalls schwarz ist.

In der coolen Stilisierung des production designs, in dem Quasi-Bezug zu einem Kult-Film für aficionados, in lauter kleinen Momenten der Irritation steckt eine nette, produktiv-bösartige Pointe: Man kann »Driver« lesen als lakonisches, prägantes, temporeiches und radikal-ökonomisches Erzählen. Als bewußten Rückgriff auf die Erzähltraditionen des Genres, als es noch nicht von blutspritzenden, kiloschweren Märchenbüchern über Serialkiller und ähnliche Geisterbahnexistenzen dominiert wurde. Sallis evoziert ein Gegenprogramm - die kleine schmutzige Geschichte über Outlaws und Outsider, unkompliziert, mit schnellem narrativen Drive, mit Action als Hauptvektor, ohne psychologische Ambition. Im Grunde also das wirkliche Goldene Zeitalter des Genres aufrufend, als es noch nicht nur den Marketing-Strategen gehörte und als Genre zur authentischen Gegenwartsliteratur hätte werden können. Deswegen widmet Sallis den Roman auch Ed McBain, Donald Westlake und Lawrence Block, »drei grossen amerikanischen Schriftstellern«. Aber, und deswegen ist der Roman gemacht, wie er gemacht ist, eine solche Naivität ist nicht mehr zu haben. Oder war es noch nie. Also zwingt uns James Sallis, sehr genau auf Faser und Textur seines multimedial vermittelten Erzählens zu schauen. Ein schlankes, ganz feines Meisterwerk.

James Sallis: Driver. (Drive, 2005). Roman. Aus dem Amerikanischen von Jürgen Bürger. Deutsche Erstausgabe. München: Liebeskind, 2007, gebunden mit Schutzumschlag, 158 S., 16.90 Euro (D).

 

© Thomas Wörtche, 2007

 

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