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Wörtches Crime Watch 10/2003

 

Esmahan Aykol: Hotel Bosporus

 

Hotel Bosporus Fast überall auf der Welt werden seit langen Jahrzehnten Kriminalromane geschrieben. So recht wahrnehmen wollte man diesen Umstand bei uns bis vor einiger Zeit nicht. Unser Blick blieb hauptsächlich auf den angelsächischen Sprachraum minus Australien, Neuseeland, Südafrika und Kanada fixiert. Gelegentlich schielte man nach Frankreich und in Konjunkturwellen nach Skandinavien und Italien. Das hat sich erfreulicherweise geändert, seit das Schlagwort »Globalisierung« aufgekommen ist. Wobei sich nicht unbedingt die internationale Kriminalliteratur globalisiert hat - schließlich gab es schon in den 60er Jahren Krimis auf Kisuaheli -, sondern eher unsere Wahrnehmung. Eine abermalige interessante Wendung ist am Beispiel Türkei zu beobachten. Celil Oker hatte in den späten 90er Jahren mit dem Gewinn eines Krimi-Wettbewerbs des berühmten Literaten-Cafés »Kaktus« die erste moderne Privatdetektivserie um seinen Helden Remzi Ünal erfunden und damit auch bei uns die Tür für den türkischen Kriminalroman geöffnet. Sein Erfolg hat eine Menge anderer Autoren ermutigt und eine eigene türkische »Krimikultur« möglich gemacht. Jetzt tritt mit Esmahan Aykols Erstling »Hotel Bosporus« ein Buch auf den Plan, von dem man vermuten darf, dass es direkt auf die oben skizzierten neuen Bedingungen der globalisierten Wahrnehmung hin geschrieben worden ist. Genauer: Direkt für den Export auf den deutschen Markt.

Die Heldin heisst Kati Hirschel, ist also Deutsche, lebt in Istanbul und betreibt dort einen Krimi-Buchladen. Deswegen hält sie sich für eine Art Miss Marple und fühlt sich berufen, einen Mord »aufzuklären«, in den ihre alte Freundin Petra Vogel verwickelt scheint. Die ist Filmstar und soll in Istanbul die Hauptrolle in einer türkisch-deutschen Koproduktion spielen. Dann wird ihr Regisseur mittels Föhn in der Badewanne ermordet und Kati legt los. Dabei stößt sie auf unfähige, resp. politisch gebremste türkische Polizisten, auf Kindersnuffpornos, Rauschgifthändler und gemischte Familientragödien, alles aus der Krabbelkiste der Krimi-Klischees vergangener Zeiten. Am Ende weiss sie, was passiert ist, und überlässt die Mörderin einer höheren Gerechtigkeit oder auch nicht.

Der rote Faden des Buches aber ist nicht der Kriminalfall. Der speist sich bloß aus den üblichen phantasmagorischen Vorstellungen von Verbrechen und Polizei und »Aufklärung« und ist ein lupenreines Märchen aus Absurdistan. Die ganze Verve der Autorin konzentriert sich vielmehr darauf, deutsch-türkische Vorurteile zu thematisieren. Deswegen dürfen sich tumbe Deutsche in türkischen Hotels aufführen wie die Kolonialherren, werden Türken und -Innen als fröhliche Anarchos und Familienmenschen gezeichnet. Und Männer als Männer, vor allem, wenn sie Polizisten sind. Kati hält Polizisten nämlich für völlig unakzeptabel, was nicht nur für tentativ korrupte und faschistoide türkische Polizisten gilt, sondern für alle. Und als ihr ein türkischer Polizist an die Wäsche geht, einvernehmlich übrigens, rettet sie nur ihr ideologischer Reflex vor dem Äußersten: »(Er) schob mir seinen braunen, tiefbraunen, von angeschwollenen Adern bläulich schimmernden Penis gegen den Bauch, als sei er eine Waffe, als bedrohe er mich mit seiner Waffe, als würde er mir die Gedärme aus dem Leib schießen, sobald er abfeuerte.« Ja, so sind sie, die Geschlechtswerkzeuge von Polizisten, und dramaturgisch wird der Mann dafür bestraft, indem er aus der Handlung verschwinden muss, als sei er nie aufwändig aufgebaut worden. Und so versucht Esmahan Aykol, sozusagen im Vorbeigehen, sich Konsense zu erplappern und beliebt zu machen. Sie grübelt ernsthaft darüber, warum »Salz etwas Heiliges« sein kann und landet bei Lots Frau; sie doziert, unberührt von der Blässe des Gedankens, dass die »Aufklärung von Morden nichts mit Technologie zu tun hat. Ein Mord wird im Kopf gelöst«; sie weiss, dass Männer grundsätzlich »nie etwas jemandem zum Gefallen tun, sie führen etwas im Schilde«, was bei Frauen nicht vorkommt.

Sapienti sat. Am Ende einer ziemlich unerfreulichen Lektüre bleibt nur die Frage: Was ist »Hotel Bosporus«? Ein ernstzunehmender Kriminalroman beim besten Willen nicht. Ein Buch über das interkulturelle Verhältnis zwischen Türken und Deutschen? Neee, nicht wirklich. Ein spätlilafeministischer Verständigungstext? Am ehesten vermutlich das, verpackt in eine erfolgversprechende Formel und platziert in einen »Markttrend«. Was uns nur lehrt, dass man mit der Form Krimi alles »transportieren« kann. Beziehungsweise nichts.

Esmahan Aykol: Hotel Bosporus. (Kitapçi Dükkani, 2001). Roman. Aus dem Türkischen von Carl Koß. Zürich: Diogenes, 2003, 288 Seiten, 19.90 Euro (D)

 

© Thomas Wörtche, 2003

 

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