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Wörtches Crime Watch 09/1997

Kenneth Abel und Robin White

 

"Mafia", wir wissen es längst, ist keine feste Struktur, sondern ein Verhalten. Deswegen kann sich "Mafia" auch an alle vorhandenen Strukturen geschmeidig anpassen. Die gute, alte Mafia mit albernen Hütchen und "zementa shooza" war auch nur eine Struktur unter anderen, die längst dem dito -wandel verfallen ist. "Mafia"-Romane sind nur noch akzeptabel, wenn sie nicht so tun, als ob man mit "der Mafia" das Übel an der Wurzel ausreißen könne.

Zwei bemerkenswerte "Mafia"-Bücher sind gerade erschienen. "Die Mauer des Schweigens" von Kenneth Abel und "Sibirische Tiger" von Robin White. Hübsch fügt sich dabei, daß Kenneth Abel eigentlich Sergei Lobanov-Rostovsky heißt und - ach - aus einer russischen Emigrantenfamilie stammt. Der Originaltitel von Abels Buch gibt den entscheidenden Hinweis, daß es sich bei der "Mauer des Schweigens" nicht um die berühmte omertà aus der Mafia-Folklore handelt. Das Buch heißt "The Blue Wall". Blau sind die Uniformen des New York Police Departments. Es geht bei Abel um geschäftliche Transaktionen und Betriebswirtschaft. Wie bezahlt ein mittlerer Gebietsleiter (so würde man ihn in der deutschen Versicherungs-wirtschaft nennen) die Polizisten auf seiner Lohnliste, welche Geldwaschoperationen sind nötig, um den cash-flow dafür sicherzustellen. Denn der darf nicht allzuviele Prozent der allgemeinen Unkosten betragen, sonst geht's an die Rendite (shareholders value !), und das sehen die Anteilseigner in Miami nicht gern. Und die Polizisten mögen es auch nicht, wenn ihr zweiter Arbeitgeber nicht liquid ist (ihr erster, die Stadt, zahlt sowie zu wenig). Also greifen sie, da Sand ins Getriebe gekommen ist, gern selbst zur Waffe. Das aber bringt ihnen politisch ehrgeizige Staatsanwälte und die "Dienstaufsicht" auf den Hals. Die wollen auch ruhiggestellt werden ...

Robin White geht eine Ebene höher, er schaut sich die internationalen Möglichkeiten von "Mafia" an. In Sibirien regiert ein streng interessegeleitetes Konglomerat aus dem, was früher KPdSU hieß, heimischen warlords, freien Unternehmern und Investitionskapital aus den USA. Sibirien hat bekanntlich viele Bodenschätze, die auszubeuten allerdings viel Geld kostet. Sibirien hat aber auch viel Platz, und als Lieblingsstandort von Zar bis Breschnew bewährte Gulags mit geringem Komfort in ausbruchssicherer Lage. US-amerikanische Gefängnisse hingegen sind notorisch überbelegt und neuerdings in privater Hand. Daraus ergibt sich eine logische, absolut zwingende Geschäftsidee.

Abel inszeniert seine bizarren Verwicklungen in New York City als Grand Guignol mit Echtblut. White seinen Permafrost-Thriller als Abenteuer- und Action-Roman. Beiden geht es nicht darum, aus ihrem "Mafia"-Plot irgendetwas Sensationelles abzuleiten. Die Grundlagen sind geschaffen. Deswegen stehen beide in literarischen Reihen: Abels Roman ist die logische Fortsetzung der "Prince of the City"-Thematik von Bob Leuci und Robert Daley, White knüpft an Martin Cruz-Smiths "Gorki-Park" und Lionel Davidsons Sibirien-Abenteuer "Der Rabe" an. Aber die Abenteuer-Form von White ist zu schlicht. Bei ihm kommt die Welt wieder in Ordnung, weil den Schurken am Ende das Handwerk gelegt ist. Der Held bleibt "sauber". Abel hingegen legt seinen Stoff als Tragödie mit grotesk-komischen Untertönen an. Der Mafioso als stand-up comedian, "Junkie McNuggets", spezielle "Eier im Glas", dazu jede Menge Anspielungen quer durch die Weltliteratur (das "Ophelia"-Motiv seit Shakespeare) - all das macht deutlich, daß Abel nicht meint, mit dem Thema unvermittelt umspringen zu können. Am Ende kooperieren seine relativ anständigen Polizisten mit den italienischen Geschäftsleuten. Anders ist "Gerechtigkeit" nicht herzustellen. Das ist so grotesk wie Abels Figuren und Situationen. Sein "Held" hat blutige Finger. Whites Roman ist nicht unspannend oder schlecht, aber die kernige Abenteuerstruktur läßt nur ein eindeutiges Ende zu. Und sowas ist arg unplausibel.

Thriller können, wenn sie sich auf gegebene Strukturen geschmeidig reagieren, gute Literatur sein. Sonst sind sie "Thriller".

 

© Thomas Wörtche, 1997

 

Kenneth Abel:
Die Mauer des Schweigens.

(The Blue Wall, 1996).
Roman. Dt. von Jürgen Bürger.
Reinbek bei Hamburg 1997: rororo-thriller.
347 Seiten, DM 14,90

Robin White:
Sibirische Tiger.

(Siberian Light, 1997).
Roman. Dt. von Hedda Pänke.
München 1997: Limes.
503 Seiten, DM 46.-

 

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