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Wörtches Crime Watch 09/2009

 

Mehmet Murat Somer: Der Kuss-Mord und Der Propheten-Mord

 

Der Kuss-Mord

Etiketten dienen zur schnellen Information und als Hilfestellung für die Kaufentscheidung. Besonders bei den Anteilskämpfen im Krimimarkt ist ein zündendes oder verwirrendes Etikett etwas ganz und gar Feines: "Transen-Thriller" verspricht zumindest Ungewöhnliches, ein "Hop-Çiyi-Yaya"-Krimi gar Unerhörtes.

"Hop-Çiyi-Yaya", erklärt der türkische Schriftsteller Mehmet Murat Somer, "war ein türkischer Schlager in den frühen Sechzigern. In Comedy-Shows wurde es bald zum Synomym für feminine Schwule". Bis Murat Somer den Begriff 2003 wieder aufnahm und eine Serie von Krimis danach nannte, die alle im Transvestiten-Milieu Istanbuls spielen. Die Hauptfigur gehört zu der langen kriminalliterarischen Reihe namenloser Helden, betreibt einen Nachtclub, arbeitet tagsüber in der IT-Branche und teilt mit seinem türkischen Privatdetektiv-Kollegen Remzi Ünal (der Serienheld von Celil Oker, dessen bedächtig-deskriptivem Stil Murat Somer folgt) die Leidenschaft für Aikido.

Räumen wir zunächst mal das ganze Verkaufsgeklingel weg - also alles was mit "schrill", "der türkische Almodóvar", "die türkische Miss Marple" etc - zu tun hat, dann kommen wir den Texten Murat Somers näher. Denn die sind weder schrill, noch bunt, und schon gar nicht führen sie die Leserschaft an den Rand des Nervenzusammenbruchts. Sie sind - literarisch gesehen - ganz schlichte, einfache, gar biedere Krimis, die z.B. von den großartigen "schwulen" Kriminalromane eines Joseph Hansen oder den in der Tat etwas glamouröseren Texten von Tony Fennelly unerreichbar weit entfernt sind.

Mehmet Murat Somers Romane sind eher "Verständigungstexte" - und dass das Genre Kriminalliteratur zunehmend als Verständigungstext-Maschinchen herhalten muß, spricht einerseits für seine zunehmende breite Akzeptanz, andererseits aber auch für seine literarische Marginalisierung. Das aber nur nebenbei.

Der Propheten-Mord

Die Hop-Çiyi-Yaya-Romane haben natürlich eine hohe politische Signifikanz. Die Türkei, zwischen zunehmender "Re-Islamisierung" und Säkularisierung hin- und hergerissen, ist kein Ort homophiler Toleranz und Aufgeschlossenheit. Im ersten Band der Serie geht es um gezielte, tödliche Gewalt, um "Hassmorde" gegen Schwule und Transsexuelle. Was in Murat Somers Kriminalromanen Fiktion ist, ist gleichzeitig massenmedial verschwiegene, vertuschte oder mit den Tätern einvernehmlich beschönigte Realität. Prügelnde Polizei und Hassprediger in blutiger Eintracht gegen Menschenrechte.

Insofern ist es nur logisch, dass es im gerade erschienenen zweiten Band der Serie, "Der Kussmord" um das Erpressungspotential und die politischen Implikationen geht, wenn konservative Politiker ihre Sexualität auszuleben wagen. Auch das führt direkt zu Gewalt, Mord und Elend, deren fatale Folgen der namenlose Held nur noch zu dämpfen versuchen kann.

Wenn man bereit ist, über die literarischen Schwächen und Unbedarftheiten hinwegzulesen, dann bieten Murat Somers Bücher sympathisch un-voyeuristische und präzise Einblicke in ein Milieu, das nicht per se exotisch und "schrill" ist, sondern wegen seiner sich verändernden Position in der türkischen Gesellschaft unser aller Aufmerksamkeit bedarf.

"Anatomieunterricht anhand einer eindeutig männlichen Leiche mit kecken Brüsten und jeder Menge Silikon in Wangenknochen und Lippen? Jenun. Die Zeiten ändern sich", rässoniert der Held, als er ein Mordopfer auf dem Obduktionstisch betrachtet. Wie eine Gesellschaft aber mit ihren Außenseitern umgeht, das belegt nicht nur nach Hans Mayers Überzeugung ihren demokratischen Status. Und wenn Kriminalromane hin und wieder als gesellschaftliche Seismographen dienen, dann ist das in Mehmet Murat Somers Fall zu loben.

Mehmet Murat Somer: Der Propheten-Mord. (Peygamber cinayetleri, 2003). Ein Hop-Çiki-Yaya-Thriller. Aus dem Türkischen von Gerhard Meier. Deutsche Erstausgabe. Stuttgart: Tropen-Verlag bei Klett-Cotta, 2009, gebunden mit Schutzumschlag, 239 S., 16.90 Euro (D).
Mehmet Murat Somer: Der Kuss-Mord. (Buse Cinayeti, 2003). Ein Hop-Çiki-Yaya-Thriller. Nach der englischen Übersetzung »The Kiss Murder« (2008) ins Deutsche übertragen von Isabel Bogdan. Deutsche Erstausgabe. Stuttgart: Tropen-Verlag bei Klett-Cotta, 2009, gebunden mit Schutzumschlag, 239 S., 16.90 Euro (D).

 

© Thomas Wörtche, 2009

 

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