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Wörtches Crime Watch 08/2005

 

Ben Macintyre: Der Mann, der König war

 

Am 31. Oktober 1841 wurden die ersten Briten in Stücke gehackt, am 13. Januar 1842 war alles vorbei: Eine britische Armee nebst Tross aus Frauen und Kindern, insgesamt 15.000 Menschen, war bis auf einen einzigen Überlebenden, vernichtet. Afghanische Bergstämme hatten sie aus Kabul hinausgejagt und auf dem chaotischen Rückzug über den eisigen Khyber-Pass nach Jalalabad peu à peu dezimiert. Es war eine der schlimmsten Katastrophen, die das kolonialistische Empire bis dahin einstecken musste.

Einmarschiert war man in Kabul mit der Absicht, Afghanistan unter Kontrolle zu bekommen, bevor das zaristische Rußland dies schaffen würde. Es ging um das von Kipling so genannte »Große Spiel«, sozusagen die Blaupause für alle Polit-Thriller - wer beherrscht den Hindukusch und die wichtigen Gebirgspässe nach Indien. Begründet hatte man die Intervention mit der Parteinahme für einen angeblich legitimen Stammesfürsten, gescheitert war man an der eigenen Ignoranz, an der Arroganz der Macht, an der Unkenntnis von Land und Leuten und an der Einigkeit der ansonsten verläßlich zerstrittenen Stämme. Man hätte es natürlich besser wissen können. Aber einen, den man hätte fragen können, hatte man gerade aus dem Land gekrätzt. Sein Name war Josiah Harlan, ein Quäker aus Chester County, Pennsylvania, USA.

Harlan war der erste Amerikaner, der je den Fuß auf afghanischen Boden gesetzt hat. Er war Glücksritter, Quacksalber, Söldner, britischer Spion, Berater und Vasall diverser lokaler Machthaber und schließlich »Fürst von Ghor«, ohne dieses Fürstentum auch nur einen Tag lang regiert zu haben. Er diente Rudyard Kipling als Vorlage für die Geschichte »Der Mann, der König sein wollte«, kam aber nicht wie diese Figur im Hindukusch ums Leben, sondern kehrte in die USA zurück, wurde dort u.a. Kamel-Importeur und starb in den Sielen in San Francisco. Im Gegensatz zu Kiplings Helden, der in John Hustons grandiosem Film fröhliche Urständ feierte, wurde Harlan total vergessen. Bis der Ex-Afghanistan-Korrespondent Ben Macintyre seine Biographie rekonstruierte, die uns vergnügliche und lehrreiche Lektüre bietet. Nur König, wie der deutsche Titel: »Der Mann, der König war. Ein Amerikaner in Afghanistan« suggeriert, war Harlan nie.

Im Original heisst das Buch nämlich treffend »Josiah the Great«, weil Harlan sich auf den Spuren Alexanders von Makedonien wandeln sah. Und der war der erste in einer Reihe von fremden Eroberern, deren Herrschaft im Hindukusch dann doch eher episodisch blieb. Niemand wusste das besser als Harlan, der versuchte, sich perfekt an die Bergstämme zu adaptieren. Er beherrschte ihre Sprachen, er respektierte ihre Sitten und Gebräuche, er bewunderte aufrichtig ihre Kultur. Und er notierte angesichts der verschiedenen Versuche, die Stämme zu unterwerfen: »Die Mehrheit einer Nation durch militärische Gewalt unterdrücken und zermalmen zu wollen, wenn alle einmütig nach Freiheit streben, entspricht dem Versuch, ein ganzes Volk zu inhaftieren. Sämtliche derartige Projekte können nur kurzlebig und vorübergehend sein und enden zwangsläufig im Unheil.«

Der Bezug zur aktuellen Situation in Afghanistan ist überdeutlich. Zumal natürlich Macinytre und auch Harlan selbst keineswegs die Afghanen zu einem friedliebenden, netten Bergvölkchen stilisieren möchten. Der Anteil von Atavismus, Gewaltherrschaft, von Tyrannei und Barbarei ist durchaus Thema des Buches. Es wird willkürlich geköpft, gehäutet, geschlitzt und verstümmelt. Besonders eindrucksvoll gerät in diesem Kontext die Schilderung des Stammes der Hazara, eine schiitische Minderheit, bei der Frauen gleichberechtigte Wesen waren und sind. Und wir erinnern uns alle daran, wie die Hazara unter den Taliban gelitten haben. Auch die Politik der jeweiligen Herrscher von Kabul und die Begehrlichkeiten der Maharadschas aus dem Punjab, die andauernden Intrigen und Gegenintrigen, die Großmachtinteressen der Blöcke England und Rußland, die Stellvertreter-Kriege, all das war zu Harlans Zeiten der Status Quo, von dem auch der Quäker aus den USA fleissig und als keineswegs moralischer Saubermann kräftig profitierte.

Dennoch - seine Schilderungen der idyllischen Züge der erhabenen Gebirgslandschaft mit fruchtbaren Gärten, reichen Ebenen und elaborierter Zivilisation lassen ahnen, was Afghanistan einmal gewesen sein mag, und woher seine mythische Attraktion rührte. Allerdings: Säbel, Musketen und Gebirgshaubitzen haben verglichen mit Daisy-Cutters, den amerikanischen Flächenbomben, eine andere Qualität. Und so hat Macintyres Buch auch Züge von Paradise Lost, auch wenn es ein grausames, blutiges, ganz und gar irdisches Paradies gewesen sein mag.

Ben Macintyre: Der Mann, der König war. Ein Amerikaner in Afghanistan. Deutsch von Bernd Rullkötter. Berlin: Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, 2005, 383 S., 22,00 Euro (D)

 

© Thomas Wörtche, 2005

 

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