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Wörtches Crime Watch 07/1997

Donna Leon und Georges Simenon

 

Vendetta Es sei kein besonderes Risiko, bemerkte Alejo Carpentier einmal, einen Roman in einer historischen Stadt wie Venedig anzusiedeln. Die Kulisse sei schon fertig. Natürlich konnte Carpentier noch nicht Donna Leons Commissario-Brunetti-Romane meinen, deren vierter Band "Vendetta" nun auf deutsch vorliegt. Donna Leon, die in Venedig lebende Amerikanerin, pinselt die Stadt wie eine Urlaubspostkarte für die gehobenen Schichten aus, die mit dem ordinären Massentourismus nichts zu tun haben wollen und sich in Massen an der Melancholie der Lagunenstadt erfreuen - ein wenig abgestrapst, ein wenig morbid, aber kultur-historisch ungemein dicht. Das vorangestellte Motto aus Mozarts Don Giovanni versichert, daß es sich um gehobene Kultur handelt. In Venedig obwaltet der brave Brunetti mit Sohn, frecher Girlie-Tochter und emanzipierter literaturpro-fessoraler Gattin. Der einzige saubere Polizist im Meer der italiennotorischen Korruption. Deswegen muß der Fall besonders schmutzig sein: Frauenhandel! Lateinamerika! ehemaliger Ostblock! Und Snuff-Pornos (also: echte Morde vor laufender Kamera), die von Serben in Sarajewo mit muslimischen Frauen (was sonst?) als Opfer hergestellt werden. Über drei Seiten wird ein solches Video ausführlich erzählt. Im selben Erzählton wie die Stadtansicht von Venedig, damit dem pp. Publikum ja nicht entgeht, wie scheußlich das ist.

Abgesehen davon, daß das Konzept der Brunetti-Bücher recht deutlich an die weit besseren Aurelio-Zen-Romane von Michael Dibdin angelehnt ist, hat "Vendetta" eine unplausible, platte und lachhafte Handlung (hinter allen steckt Die Mafia, und die Herren Großverbrecher betreiben das Video-Schmuddelgeschäft auch noch persönlich), lachhafte, unplausible Figuren (die arme, aber aufrechte Hure, die Hure als Rächerin), und ein verlogenes Realismus-Getue (selbst die italienische Polizei arbeitet nicht so bekloppt, wie Brunetti sich anstellt, und über die Lokalpolitik von Venedig kann man in jeder anständigen Tageszeitung Informierteres lesen).

Damit steht Donna Leon prototypisch für einen unschönen Trend: Sie erfüllt, eingebettet in eine schöne Umgebung, alle verlogenen, betroffenmachenden Topoi im binären Code. Family values vs. Prostitution, aufrechter Einzelner vs. korruptes System, Sizilien (=Mafia) vs. Norditalien - O oder 1. Verkauft nicht als evasives Märchen, sondern als "realistischer Kriminalroman". Und deswegen Trivialliteratur, öde Kolportage.

Maigret und die Keller des Majestic Weil Brunetti als "neuer Maigret" beworben wird, möchte ich an dieser Stelle doch lieber das Original empfehlen. Im Zuge der Maigret-Gesamtedition bei Diogenes ist gerade "Maigret und die Keller des Majestic" wieder in die Buchhandlungen gekommen. Ein Roman, der zeigt, was man mit dem Schauplatz "Luxushotel" machen kann, wenn man es kann. Besonders bemerkenswert an dem schmalen Buch sind eine der gelungensten Expositionen der Kriminalliteratur - ein Mann steht morgens auf, fährt mit dem Fahrrad zur Arbeit, hat einen Platten und daraus entwickelt sich eine irrwitzige Geschichte - und die Kunst von Simenon, mit wenigen Zeilen Stimmungen, Atmosphären und ganze Welten zu entwerfen.

Gerade im Vergleich zu neuen "Star"-Autoren wieder- und gegengelesen, wird Simenons ganze Meisterschaft besonders deutlich. Wie genau er Menschen anschaut, wie er im realistisch geschilderten kleinbürgerlichen Milieu plötzlich surreale Züge aufscheinen läßt und wie er beiläufig gegen Konventionen jeder Art verstößt. Die Schlußszene, in der Maigret einer Hure auf turkey ein Tütchen Kokain zusteckt, ist 1939 (!) geschrieben. Sowas würde heute von Lektoraten als "bedenklich" diskutiert. Mehr Simenon lesen, fällt mir dazu nur ein, das schützt vor dem Talmi der schlechten Fortsetzungsromane im seriösen Gewand.

Und (s.o) wenn schon Kolportage, dann bitte intelligent. Den historischen Untergrund dafür bietet die kleine Achilla Presse mit Neueditionen von Autoren wie Frank Heller ("Der sibirische Express") oder Hugo Bettauer ("Der Frauenmörder", "Stadt ohne Juden") und demnächst Sax Rohmer und Bernhard Borge. Alles Bücher aus den 20er und frühen 30er Jahren, als man noch sicher sein konnte, ein breites Publikum mit Geist, Chuzpe und kritischem Blick unterhalten zu dürfen.

 

© Thomas Wörtche, 1997

 

Donna Leon:
Vendetta

(Death and Judgement, 1995).
Dt. von Monika Elwenspoek.
Zürich: Diogenes 1997.
351 Seiten, DM 39.-

Georges Simenon:
Maigret und die Keller des Majestic

(Les caves du Majestic, 1942)
Dt. von Linde Birk.
Zürich: Diogenes 1997.
191 Seiten, DM 14,90

 

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