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Wörtches Crime Watch 07/2003

 

John Fusco: Das Gesetz der Familie

 

Das Gesetz der Familie Die Mafia oder La Cosa Nostra oder wie immer man diese Organisation nennen mag, ist eine Struktur ohne allzu feste Strukturen. Das war das Geschäftsprinzip eines ihrer entscheidenden Manager, von Lucky Luciano. Selbst die lockersten Strukturen werden von Menschen gebildet und diese Menschen sind keine Monaden. Sie haben Familie: Verwandte, Kinder, schwarze Schafe. Die grandiose Fernsehserie Die Sopranos basiert auf dieser Konstellation: La Mafia, das ist die nette Familie von nebenan, nur Papi geht manchmal morden. Bei uns waren die Sopranos ein Flop, vermutlich weil die ideologische Einpeitschung, wie denn Kriminalität auszusehen habe, nach 50 Jahren Derrick, Tatort und Polizeiruf diese schlichte Normalität als Wahrnehmungsraster erfolgreich verhindert hat. In den USA waren und sind die Sopranos ein Megaerfolg. Deswegen setzt dort auch allmählich die literarische Nachbearbeitung ein.

Das Gesetz der Familie, der Erstlingsroman des Drehbuchautors John Fusco, gehört in diesen großen Zusammenhang. Was aber zunächst die Qualität des Romans nicht schmälert. Fusco erzählt die Geschichte von dem ins 13. Lebensjahr eingetretenen Annunziato Paradiso, genannt Nunzio, der bei der Arbeit auf dem Schrottplatz seines Vaters, im Kofferraum eines Autos eine Leiche findet. Präziser: Er ist sich sicher, eine Leiche gesehen zu haben. Denn bevor er sie näher untersuchen kann, ist das Auto schon in der Schrottpresse und samt Inhalt zu einem handlichen Metallklumpen verarbeitet. Nunzio zweifelt erst an sich selbst und dann, schlimmer noch für ihn, an seinem Vater. Die eigene Familie fängt an, für Nunzio dubios zu werden. Das Porträt einer italienischen Familie in Saukiwog Mills, Connecticut, bildet auch den Kern des Romans. Anscheinend, denn bei aller farbenfrohen, komischen und extrem sinnenfreudigen Schilderung der Großfamilie inklusive exzentrischem Großvater, spökenkiekerischer Großmutter, schottischer Mutter und dem üblichen Assortiment sehr bunter Vögel und deren kulinarischer Dogmen, geht es Fusco um etwas anderes.

Deswegen fängt der Roman deutlich so an wie ein berühmtes Buch der amerikanischen Literaturgeschichte: Denn 13 Jahre sind auch James Nightshade und William Halloway aus der Oak Street, als das Böse auf leisen Sohlen in ihre Kleinstadt geschlichen kommt - gemeint ist natürlich Ray Bradburys Something Wicked This Way Comes. Nur hat das Böse, anders als das Numinose, bei dem es Bradbury belässt, bei Fusco einen konkreten Namen. Es ist die Ungewissheit, wo die Grenze zwischen "Normalität" und "Verbrechen" verläuft. Da, wo bei den Sopranos schon alles klar ist, pflanzt Fusco den Zweifel eines Heranwachsenden - gegenüber seinem Patenonkel, gegenüber seinem eigenen Vater, gegenüber der Familientradition, die einen entfernten Verwandten, den Ex-Cop Angelo zum Beispiel, dämonisiert und aus dem Familienbewusstsein gestrichen hat.

Ausgerechnet dieser Angelo, den Fusco als bizarre gebrochene Persönlichkeit und Suizidanten schildert, wird für Nunzio zum wichtigen Gehilfen bei der Jagd nach der Wahrheit. Fuscos meisterhaft pralles Erzählen, das gespickt ist mit Hommagen an Robert de Niro in Taxi Driver und die Popkultur der Zeit, in der der Roman spielt, also die späten Seventies, verwischt manchmal durch halluzinogene Einschübe auch die Grenzen der Realität. Damit verfährt er auf einer Ebene radikaler als sein virtueller Dialogpartner, die Sopranos, und schlägt sich damit eher auf die Seite Bradburys und, nebenbei, auf die von Stephen King. Auf einer anderen Ebene allerdings geht er damit auch den risikofreieren Weg: Denn, ohne zu viel zu verraten, am Ende ist zwar nicht die Welt in Ordnung und schon gar nicht das Verbrechen aus den normalen Alltagsstrukturen verdrängt, aber der Oberschurke fährt ins Gefängnis, das FBI putzt die Stadt und Nunzios Daddy ist vielleicht doch kein allzu böser Mensch. Die Mafia ist zur Zeit dieses Romans als "Nunzios aufregendes Sommerabenteuer" zu verbuchen. Erst fast 20 Jahre später, mit der Generation der Kinder der Sopranos ist sie schlicht Alltagsrealität.

Fusco hat ein als heiteren Familien-Sommerroman getarntes Stück realitätstüchtige Prosa vorgelegt, das seine bedrohlichen Züge erst im intermedialen Dialog mit einem in seiner Zielgenauigkeit gar nicht zu unterschätzenden Stück Populärkultur, nämlich den Sopranos, entfaltet.

John Fusco: Das Gesetz der Familie. (Paradise Salvage, 2001). Roman. Dt. von Eike Schönfeldt. München u. Wien: Nagel & Kimche, 2003, 24.90 Euro (D)

 

© Thomas Wörtche, 2003

 

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