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Wörtches Crime Watch 03/2005

 

Walter / Kania / Albrecht (Hg.): Alltagsvorstellungen von Kriminalität

 

Alltagsvorstellungen von Kriminalität Kriminalliteratur ist ein Feld voller Paradoxien, Widersprüchen, Dialektiken und Ambiguitäten. Gewissheiten, Wahrheiten, schlichte Antworten sind nur bei gequältester Reduktion intellektueller Anstrengung zu haben. Die Literaturwissenschaft kann nicht präzise und konsensfähig definieren, was Kriminalliteratur, was ein Krimi, was ein Thriller ist. Die Publizistik muss sich notgedrungen mit Etikettierungen begnügen, ebenso wie die Produzenten und Vertreiber dieser schillernden Literaturform. Das lesende Publikum hingegen hat einen vorbegrifflichen oder begrifflosen Instinkt für "Krimis". Unentwirrbar vermengen sich unter anderem ästhetische, poetologische, erkenntnistheoretische, literaturhistorische und soziologische Theoriesplitter mit blanker PR und Marketing-Strategien. Ungeklärte Wertungsfragen vernebeln zusätzlich dieses literarische Feld.

All das verklumpt zu einem Gegenstandsbereich, dessen Komplexität eine bemerkenswerte Unlust an Reflexion produziert, die reziprok zu der reinen Lust an der Rezeption von Kriminalliteratur steht. Diese Lust als illegitim oder defizient zu bezeichnen, wäre dogmatisch, vermutlich übergriffig, auf jeden Fall sauertöpfisch. Aber dennoch stoßen wir an diesem Punkt wieder auf eine unbehagliche Dialektik: Wie man es dreht und wendet, eine unschuldige Lust gibt es nicht wirklich - höchstens eine den Kontexten abgetrotzte, die sich ihrer Reduktion von Sachverhalten bewusst ist oder es zumindest sein sollte. Ein solcher Sachverhalt ist die Tatsache, dass Kriminalliteratur oder crime fiction (um den multimedialen Verbund des Feldes zu kennzeichnen) wegen ihres enormen Erfolgs und ihrer enormen Beliebtheit, kulturell prägend sein muss. Aber wie genau sieht so etwas aus?

Hilfestellung verspricht da der von Michael Walter, Harald Kania und Hans-Jörg Albrecht herausgegebene Sammelband »Alltagsvorstellungen von Kriminalität«, der die Wechselwirkungen von "subjektiver", "objektiver" und "Medien-Kriminalität" untersuchen möchte. Es handelt sich, der Leser sei gewarnt, um ein hartes Stück wissenschaftlichen Schwarzbrots, oft sinnlos jargonisiert, oft erschreckend ahnungslos, aber dennoch auch erhellend. Die ahnungslosen Teile sind leider die, die sich mit Kriminalliteratur befassen. Beziehungsweise nicht befassen: sie kommt praktisch nicht vor. Einmal weil sie unerklärlicher- und sinnloserweise, als wären wir noch 60 Jahre zurück, von "Höhenkamm"-Literatur abgesetzt wird, zum zweiten, weil sie nur als Spezialfall, nämlich als hochideologisierte Serienware aus dem Deutschland der dreißiger und vierziger Jahre auftritt. Oder drittens dem eher lustigen Nachweis dienen soll, dass Mario Puzo für seinen »Paten« irgendwie irgendwas gewusst haben muss über La Cosa Nostra.

Erhellend hingegen da, wo die kulturelle Prägungskraft am deutlichsten sichtbar wird: Der BKA-Mann Michael C. Baurmann bilanziert nüchtern die Verheerungen, die die Serial-Killer-Welle in Buch, Film und "Sachbuch" in den Köpfen des Publikums angerichtet hat und konfrontiert die schon fast propagandistische Heroisierung dieses Genres und Profils mit einer knappen Arbeitsplatzbeschreibung von "Fallanalytikern". Ebenfalls erhellend die Beiträge von Joachim Obergfell-Fuchs & Helmut Kury zur Einstellung der Bevölkerung zur Strafwürdigkeit einzelner Deliktgruppen und von Hans-Jörg Albrecht zur Öffentliche(n) Meinung, Kriminalpolitik und Kriminaljustiz. Erhellend deswegen, weil sie auf der Ebene der Alltagskriminalität eine zivilgesellschaftlich akzeptable demografische Stimmung nachweisen können, die sich von der fiktiven oder semifiktiven Aufbereitung von dieser Art von Kriminalität wenig beeindrucken lässt.

Es bleibt jedoch die Frage, ob dies auch so ist, weil sich vor allem Kriminalliteratur auf sensationelle, mit der realen, statistisch häufigen Kriminalität nicht vereinbare, Verbrechenstypen wie den Serienmord fokussiert. Wenn dem so wäre, wäre sie deutlich eskapistische Literatur, die sich von anderen harmlosen Genres wie Arztroman oder Bergroman nicht wesentlich unterscheidet. Aber das kann ja nicht sein, oder?

Bei allen Defiziten, »Alltagsvorstellungen von Kriminalität«, ist ein Unternehmen, das dringend zu weiterer Reflexion über eine Kunstform aufruft, die wegen ihres Themas nie den Frieden des Behaglichen ausströmen kann und auch nicht darf.

Michael Walter, Harald Kania und Hans-Jörg Albrecht (Hg.): Alltagsvorstellungen von Kriminalität. Individuelle und gesellschaftliche Bedeutung von Kriminalitätsbildern für die Lebensgestaltung. Münster: LIT, 2004 (Kölner Schriften zur Kriminologie und Kriminalpolitik Bd.5 VIII), 563 S., 40,90 EUR

 

© Thomas Wörtche, 2005

 

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