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Wörtches Crime Watch 02/2000

Bill James: Auf Rosen gebettet

 

Ruth Rendell ist gerade siebzig Jahre alt geworden. Die artigen Geburtstagsartikel, die allenthalben dazu zu lesen waren, tragen zu einer lange währenden, fatalen Fehleinschätzung bei: Als ob Ruth Rendell genreästhetisch noch irgendwie relevant wäre und gar politisch anders als ihre Antipodin P.D. James verbucht werden sollte. Richtig ist, daß P.D. James unter Margaret Thatcher geadelt wurde und Ruth Rendell jetzt auf die sozialdemokratische Blair-Karte setzt. Aber das sind schon Nachlassgefechte, denn beide Ladies haben ihre entscheidenden und wichtigen Bücher in den 60er, resp. 70er Jahren des letzten Jahrhunderts geschrieben. Seitdem haben sie viele dickleibe Bücher verkauft, die sich allesamt durch seitenfüllende, funktionslose Deskriptionen und ein soziologisch nichtexistentes Surrogat-England auszeichnen. Die beiden sind spätestens in den letzten zwanzig Jahren zu bestsellenden Märchentanten avanciert. Was nicht weiter schlimm wäre, wenn es nicht zwei unangenehme Folgen gezeitigt hätte: Zum einen wurde die Machart auch für andere Autorinnen formelfähig, ob die Klone Minette Walters heissen oder Elizabeth George oder Martha Grimes, das ist nur eine graduell qualitative Frage auf dem Level Marlitt oder Courts-Mahler. Wichtig ist, daß die Strukturen dieses unstrukturierten Erzählens seit Agatha Christie als Norm eines guten, britischen Krimis verstanden werden. Und wo sich solche Normativitäten aufbauen, entsteht zum anderen digitales Denken. Demzufolge zerfällt die Kriminalliteratur aus dem UK in zwei Stränge. Das Gegenprogramm zu James, Rendell & Co. besteht dann im Brit Noir, also der Linie, die von Ted Lewis herkommt, mit Derek Raymond ihren Höhepunkt gefunden hat und mit Mark Timlin etwa ihre prätentiöse light-Version. Alles, was nicht von Rendell und James ableitbar ist, muss noir sein. Das ist Unfug.

Unbeachtet bleibt wegen dieser fatalen Dichothomie nämlich eine ganze Schar von Autoren, die weder dem Märchen noch dem schwarzen Kitsch anheimgefallen sind: Schriftsteller wie Julian Rathbone, John Harvey, Ian Rankin, William McIllvaney, Neville Smith, Reginald Hill oder Brian Thompson haben mit ihren oft leisen, aber immer irgendwie vertrackt realistischen und gleichzeitig schriftstellerisch ausgereiften Konzepten beim deutschen Publikum durchweg den Kürzeren gezogen. Das gilt auch für einen der besten Schriftsteller dieser Garde, für Bill James. Erst sein zehntes Buch über den extrem merkwürdigen Polizisten Colin Harpur hat jetzt den Weg zu uns gefunden. Lieber zu spät als nie - und weil "Auf Rosen gebettet" von Iris Krüger sehr schön übersetzt worden ist, kann man auch alle Qualitäten von Bill James studieren. Da ist zunächst einmal die unheimliche Fähigkeit, moralische Grauzonen zu schaffen. Harpurs Frau Megan ist ermordet worden. Einfach so, als sie von einem Stelldichein mit ihrem Liebhaber, der auch ein hochrangiger Polizist ist, mit dem Zug nach Hause kommt. Harpur scheint nicht sonderlich erschüttert. Er vermutet, dass dieser Mord ein Zeichen war. Rein geschäftlich, nichts Persönliches. Denn Tambo, ihr Liebhaber, war bis in die Haarwurzeln korrupt. Davon geht Harpur aus. Auch dass seine eigenen Vorgesetzten dies sein könnten, setzt er voraus. Aus eigener Erfahrung. Und so gerät alles, was in diesem Buch geredet wird, zum Double Talk. Und es wird viel geredet. Bedeutend mehr als erklärt. Das ist eine zweite Stärke von James: Seine wunderbaren, schnellen, intelligenten und eben sehr mehrdeutigen Dialoge, die den »mündigen Leser« brauchen. Ich kenne ausser le Carré niemand, der diese schwierige Kunst so federleicht beherrscht. Drittens reicht für James eine formale Idee, um das Buch rasend spannend zu machen. Denn während in der Haupthandlung schon alles geklärt scheint, schlüpft der allwissende Erzähler in die Rolle des Opfers Megan und rekapituliert in einzelnen Häppchen minuziös deren letzte Minuten - bis zur Konfrontation mit dem Mörder.

Viertens verweigert Bill James jede einfache Erklärung der Ereignisse mittels einer ausgeklügelten Schnitttechnik. Hat Harpur zur Selbstjustiz gegriffen (oder greifen lassen)? Oder sind seine Chefs doch stärker verstrickt, als ihre Bekundungen vermuten lassen ? Die Realität ist ein uneindeutig Ding - und das muss man nicht erklären. Das muss man erzählen können. Deswegen ist Bill James ein grosser Autor, der "nur" ein Kriminalautor ist. Was man also den Rendells dieser Welt vorwerfen kann, ist einfach. Sie verbauen mit ihren Büchertürmen die Sicht auf gute Literatur.

 

© Thomas Wörtche, 2000

 

Bill James:
Auf Rosen gebettet

(Roses, Roses, 1993).
Roman. Dt. von Iris Krüger.
Berlin: Ullstein, 2000.
288 Seiten, DM 14.90

Auf Rosen gebettet

 

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