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Wörtches Crime Watch 01/2009

 

Scott Phillips: Alles in einer Nacht

 

Alles in einer Nacht

Auch die Kriminalliteratur hat ihr "Dinner for One". Es heisst "Alles in einer Nacht", ist ein Roman des Amerikaners Scott Phillips und spielt am 24. Dezember 1979 in Wichita, Kansas. Ein Weihnachtsroman also. Sein Kultstatus seit 2000, in diesem Jahr ist das Buch unter dem Titel "Ice Harvest" in den USA erschienen, leitet sich wesentlich von seinem Anti-Heilig-Abend-Stimmungs-Programm ab, aber eben nicht nur.

Die Geschichte vom abgehalfterten Anwalt Charlie Arglist - was für ein Name! -, der für ein paar Gangster den Strip-Schuppen- und Nachtbar-Manager gibt, und der mit seinem Kumpel Vic auf eigene Rechnung mit Drogen dealt und am Ende noch den Bossen die Konten leerräumt, um sich auf Nimmerwiedersehen abzusetzen, diese Geschichte also ist nicht gerade von christlicher Nächstenliebe geprägt. Sie ist aber, im Gegensatz zu den vielen einschlägigen und üblichen Krimi-zu-Weihnachten-Neckereien nicht nur auf eine Pointe hin angelegt, die einen dieser speziellen X-mas-Schocks erzielen will, wie sie ganzen Unter-Christbaum-Morden-Anthologien und Adventskalender-Krimilein so ungeniessbar machen.

Die Wucht und die Dynamik von Scott Phillips Angriff auf den Weihnachts-Kitsch, auf den ganzen kommerzialisierten Zuckerguß, auf Heuchelei und family values, die doch nur Familienterror sind, liegt in der heiteren Lakonie der Erzählung. Im ganz entspannten Tonfall stellt sie Sex und Gewalt, innere Roheit und moralische Verwahrlosung neben Momente schräger, wenn auch rührender Nächstenliebe. Zum Beispiel, wenn Arglist Chaos anrichtet, weil er den Stripperinnen die Bühnenmiete für den Heiligen Abend nachläßt, was bei den unteren Chargen viel Verwirrung stiftet. Oder wenn ein netter Rausschmeisser einem jugendlichen Störenfried aus pädagogischen Gründen alle zehn Finger einzeln bricht, um ihm nicht wirklich wehzutun.

So bewegt sich die Handlung durch die vereiste und verschneite Stadt im Mittleren Westen, durch schäbige Bars, abgestrapste Tankstellen, öde Brachen und schlechten Strassen. Die USA, wie sie auch zur Weihnachtszeit niemand mag. Jeder will, ja muss alle anderen aufs Kreuz legen, muss seinen Vorteil wahren, muss auf der Hut sein vor edlen Versprechen. Der einzige unschuldige Sex ist der käufliche, wenn Sex sonst ins Spiel kommt, ist er gefährlich, manchmal lebensgefährlich. Die Tötungsdelikte, die jeweils links und rechts anfallen, passieren eben so. Eine Eigenschaft, die eine gewisse innere Verwandschaft des Romans mit "Fargo", dem genialen Film der Coen-Brüder über das Töten en passant in eisigen Gegenden, herstellt. Bei den Coens bildete das geglückte, wenn auch ultra-spießige Privatleben ihre Hauptfigur Marge den komischen Gegensatz zu der durchgeknallten Welt ausserhalb dieses Glücks. Bei Phillips wird die gewalttätige, durchgeknallte, verwahrloste Welt als normal akzeptiert; selbst noch bei völlig leeren Weihnachtsritualen in kaputten Familien, in die Arglist angesoffen hineinstolpert. Dass es sich um seine eigene Familie handelt, tangiert ihn nur am Rande.

Aber verstehen wir uns nicht falsch: "Alles in einer Nacht" ist kein Sozialdrama, sondern ein sehr komisches Buch. Der Kontrast zwischen Weihnachten und dem, was da abgeht, läßt beide Pole noch abgedrehter erscheinen, als sie per se schon sind. Natürlich steuert auch dieses Buch auf eine Pointe, die man nicht kommen sehen kann, die aber, wenn sie da ist, sehr, sehr gemein ist. Ein finaler, böser Kommentar zu Sinnstiftungen, gar anläßlich der Sinnstiftungsorgie Weihnachten. Und deswegen greifen viele Menschen, die mit Weihnachten wenig am Hut haben, beziehungswseise sich von der allgemeinen Weihnachtshysterie genervt fühlen, jedes Jahr wohlgemut am 24.12. zu diesem schönen Roman. Dieses Jahr kommt glücklicherweise der Umstand dazu, dass am Heilig Abend um 22:20 auf Sat1 eine nicht sehr werkgetreue, aber dennoch gelungene Verfilmung von Harold Ramis mit John Cusack und Billy Bob Thornton läuft. Wie sich der Abend danach gestaltet...

Scott Phillips: Alles in einer Nacht. (Ice Harvest, 2000). Roman. Aus dem Amerikanischen von Karl Heinz Ebnet. München: Knaur, 2001, Knaur Taschenbuch Nr. 61807, 256 S., 7.90 Euro (D).

 

© Thomas Wörtche, 2008

 

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