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Leichenberg 12/2018

 

Slow Horses

Geheimdienste sind, neben allem, was sie sonst noch sind, große Behörden, Bürokratien. Und als solche zu wesentlichen Teilen mit sich selbst beschäftigt: Karrieren, Hierarchien, Macht und Einfluss, Hauen und Stechen und natürlich Budgets, vor allem Budgets. Das ist auch beim MI5 nichts anders, glaubt man Mick Herrons Serie um die Slow Horses (Diogenes), dem ersten Band von bis jetzt fünf Teilen. Die Slow Horses hausen in einer Bruchbude namens "Slough House" und sind eine Art bad bank des Dienstes. Sie werden mit frustrierenden und demütigenden Arbeiten gequält: Mülltonnen durchsuchen, sterbenslangweiligen Schreibarbeiten und anderen sinnlosen Beschäftigungen mehr. Zu den Slow Horses werden Leute versetzt, die irgendetwas verpatzt haben, Probleme haben (Alk), Dinge wissen, die gefährlich sein könnten oder auch schlicht inkompetent sind. Am besten wäre es, wenn sie von selbst kündigen würden, cf. Budget. Chef in Slough House ist Jackson Lamb, ein fetter Grobian mit betrüblicher Körperhygiene. Aber stockschlau. Das bekommt die stellvertretende Direktorin des MI5 zu spüren, die, auf dem Karrierepfad nach oben, versucht, die Slow Horses für ihre schmutzigen Tricks zu funktionalisieren. "Lady Di", so wird sie genannt, hat sich etwas besonders Bescheuertes ausgedacht: Um auch Aktivitäten gegen "rechts" zu legitimieren, lässt sie den Neffen eines pakistanischen Geheimdienst-Hierarchien entführen - ihm soll vor laufender Kamera von einer Spinnertruppe namens "Die Stimme Albions" der Kopf abgehackt werden, der MI5 wird ihn in letzter Sekunde retten, um seine Effektivität und Eminenz zu demonstrieren (cf. Budget) und zudem Gefühle tiefer Dankbarkeit bei den Pakistanis (cf. Macht und Einfluss) auszulösen. Natürlich geht das schief, die lahmen Gäule sind nämlich gar nicht so lahm und Jackson Lamb, das alte Front-Schwein aus dem Kalten Krieg, zeigt den "Bürohockern" aus der Zentrale, was eine Harke ist. Das ist alles sehr charmant und herzig. Natürlich haben letztendlich obsiegende Loser-Truppen immer unsere Sympathien (das gilt auch für Polizeiromane wie Dirk Schmidts "Task Force Hamm" oder Sophie Hénaffs "Kommando Abstellgleis"), aber Autoren wie James Grady ("Die sechs Tage des Condor", 1974) oder, hier vielleicht wichtiger, Brian Freemantle ("Charlie Muffin", 1977) haben aus ihren Außenseiterfiguren wesentlich bissigere, subversivere Aspekte herausgeholt, die zudem einen Autsch-Faktor hatten. Der fehlt bei dem weitgehend voraussehbaren Plot bei Herron fast völlig. "Slow Horses" kommt in gemächlicher, leicht ironischer Prosa (die Ironie der Überlegenheit des Erzählers) daher, so bequem und behaglich wie ein Chintz-Sessel.

In Liebe, Dein Vaterland I - Die Invasion

Hart am sehr klarsichtigen Wahnsinn siedelt Ryu Murakamis In Liebe, Dein Vaterland, ein zweibändiges Epos, dessen erster Teil, Die Invasion (Septime), gerade erschienen ist. Das Original stammt aus dem Jahr 2005, die als Dystopie angelegte Handlung spielt deswegen 2010, aber darüber kann man auch 2018 noch hinwegsehen. Japan steckt in einer tiefen Krise, außenpolitisch impotent und marginalisiert, wirtschaftlich kollabiert, große Teile der Bevölkerung sind obdachlos und hausen in schlimmen Notunterkünften oder unter freiem Himmel, ausgebeutet und drangsaliert von kriminellen Strukturen. Das ist die Chance für Nordkorea, sich einen fetten Happen ihrer ehemaligen Besatzungsmacht zu schnappen. Ein neunköpfiges Vorauskommando bringt die japanische Hafenstadt Fukuoka in seine Gewalt (sie besetzten einfach das ausverkaufte Baseball-Stadion), fliegen noch mehr Leute ein, errichten ein benevolentes Terrorsystem und warten auf die 120.000 Mann starke Invasionsarmee. Die Japaner sind hilflos, inkompetent, opportunistisch und vor allem völlig wirr. Nur eine Gruppe aus gescheiterten Existenzen - Mörder, Vergewaltiger, gewaltgeile Irre und psychisch schwer Geschädigte, durchweg bizarre Typen - könnte, das wird der zweite Band, enthüllen, zum Widerstand werden. Der Roman lebt im Wesentlichen von Überzeichnung - die knallharten, unfasslich grausamen Nordkoreaner, asketische Kampfmaschinen, unberührt von westlicher Dekadenz - und Überwältigung - die Meetings des japanischen Krisenstabes, die ewigen Schilderungen von Bürokratien und Hierarchien und Traditionen, die Macken der Psychopathen-Truppe -, überhaupt die ganze Megalomanie des production designs, all das spricht jeder Idee eines klassisch geplotteten Romans Hohn. Murakami spottet und ätzt, schockiert und verblüfft, gegen so ziemlich jede narrative Regel verstoßend. Das nervt wie Hölle und amüsiert gleichzeitig, weil es so hemmungslos durchgezogen ist, brutalistisch nachgerade. Man darf schon befürchten, dass Murakami Japan nicht besonders mag. Nordkorea aber auch nicht, genau so wenig wie alle seine Figuren, obwohl man da zum Beispiel bei dem Irren, der mit seinem Bumerang Leute köpfen kann oder dem Typen, der reinen Horror mit ekligem Viechzeug verbreitet, nicht so sicher sein kann. Im Frühjahr 2019 kommt der zweite Band, ich harre.

Krumme Type, krumme Type

Ein richtig schönes Buch ist Krumme Type, krumme Type von Tom Franklin (Pulp Master). Eine Geschichte aus Chabot, Mississippi, über zwei Menschen, die eigentlich Freunde sein sollten und wollten und es als Jungs auch eine Zeit lang waren. Wenn da nicht der brutale Rassismus gewesen wäre. So wurde der eine Cop, der andere gerät in Verdacht, ein Mädchen-Mörder zu sein und so geht es fünfundzwanzig Jahre lang, in denen sie nicht vernünftig kommunizieren. Ein jeglicher auf seine Art verstockt, schmollend. Und dann verschwindet wieder ein Mädchen. Tom Franklin erzählt unspektakulär, fast bedächtig, aber ungeheuer präzise vom Wandel der Zeiten, in denen ein schwarzer Mann inzwischen zwar Cop werden kann, aber die Ressentiments noch lange nicht verschwunden sind. Er erzählt von Familienschicksalen, vom Überleben, von Freundschaft, Loyalität und Verrat, vom elenden Schweigen und Verdrängen, und nicht zuletzt vom ganz normalen Leben auf dem Land, inmitten einer üppigen Natur. Franklin braucht dafür weder die Schroffheit William Faulkners noch die alttestamentarische Wucht von James Lee Burke, sondern entwickelt einen eigenen, sehr eleganten Groove mit flüssigen Dialogen (fein übersetzt von Nikolaus Stingl), der den Roman zu einem erwachsenen, gerechten und eben schönen Buch macht.

Catherine Deneuve. Film für Film

Das Bilderbuch des Monats: Catherine Deneuve. Film für Film von Isabelle Giordano (Schirmer/Mosel). Natürlich stimmt Film-für-Film nicht ganz, aber das wäre auch bei über 160 Filmen (!) ein bisschen übertrieben, zumal nicht jeder Film ein Meisterwerk war. Und genauso natürlich sind die Texte von Isabelle Giordano ein klein wenig hagiographisch. Macht aber nix, das Wichtige sind sowieso die Fotos und die enorme Vielschichtigkeit von Catherine Deneuve, die sie abbilden. Das größte Missverständnis wäre, sie nur als "Noir"-Ikone zu sehen (seit Jörg Fauser die Lieblingsphantasie hebephrener Noir-Nerds) - dafür ist auch der Anteil ihrer einschlägigen Filme zu gering -, genauso wie es fatal wäre, sie auf die "Belle de jour" zu reduzieren. Und mit der "kühlen Blonden" kommt man auch nicht weiter. Wohl aber mit unzähligen Modulationen von Intelligenz, Souveränität und Eleganz. Die Riege der Regisseure (Buñuel, Chabrol, Truffaut, Polanski, Lelouch, Aldrich, Corneau, de Brocca, Techiné etc.) und Regisseurinnen (was man gerne übersieht, darunter Agnès Varda, Emmanuelle Bercot, Julie Bertucelli, Chantal Akerman, Julie Lopes-Curval etc.) ist natürlich beeindruckend, sagt aber bei dieser enormen Unterschiedlichkeit der künstlerischen Ansätze lediglich, dass eine Festlegung auf Rollenklischees nur sehr zwanghaft möglich wäre. Deneuve war vor allem auch experimentierfähig und radikal autonom. Dieser schöne Prachtband zum 75ten Geburtstag liefert die Ikonographie einer nicht zu ikonographierenden Schauspielerin.

 

© Thomas Wörtche, 2018

 

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