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Leichenberg 12/2017

 

Schleierwolken

Schlimme Dinge können ganz banal daherkommen. Elisabeth Ebel führt ein wenig sensationelles Leben in Berlin. Sie arbeitet für eine Art Schreibbüro als Korrektorin, obwohl sie ein abgeschlossenes Studium hat. Ihre verwitwete Mutter in Wattenscheid of all places triggert ihr schlechtes Gewissen, nörgelt und meckert an allem, zwingt sie aber alle paar Wochen zu unerquicklichen Besuchen. Elisabeth hatte die eine oder andere gescheiterte Beziehung, hat sich aber ansonsten im stillen Nicht-Glück ganz gut einrichtet. Meint sie. Bis sie sich plötzlich verfolgt fühlt, obwohl sie das nicht belegen kann. Unheil deutet sich an, bleibt aber unscharf. Hat sie tatsächlich einen Mord mit angesehen? Wollte tatsächlich jemand sie vor den Bus schubsen? Hat die Frau, die sie für einen One Night Stand mitgenommen hatte, tatsächlich später ihren Laptop und eine Kamera aus ihrer Wohnung geklaut? In Elisabeth, die Weltmeisterin im Verdrängen und Vergessen, steigen Erinnerungen hoch, die sie eigentlich nicht haben will. Was sie mit ihrer greisen Mutter in der Badewanne getan hat, wie öde und fahl ihre Kindheit und Jugend im öden und fahlen Wattenscheid war, was es mit einer Affäre mit der Gattin eines Kunden auf sich hatte. Schleierwolken überziehen die Welt von Elisabeth und Schleierwolken heißt der sensationell gute Roman von Regina Nössler (konkursbuch). Selten wurde subtiler Horror so leise und so gekonnt erzählt. Nichts ist schrill, nichts sensationell, aber vieles ist grausam, gemein und entschieden fies. Nössler seziert nicht nur grauen Alltag, sondern vor allem Unglück mit virtuoser Präzision, flicht Katastrophen beiläufig ein, nie larmoyant, nie von der Schwere des Erzählten erdrückt, nie gefühlig. Sie schafft es, aus einem liegengebliebenen ICE ein Schreckenskabinett zu machen und die Wohnung eines sozio- und agoraphoben Mannes wird nur durch die Beschreibung zum House of Terror, ohne dass Nössler je zu Schock-Elementen greifen muss. Im Gegenteil, die ganze, im Grunde tieftraurige Erzählung, von Außenseitertum, Gewalt in allen Nuancen und Lebenslügen, Kommunikationslosigkeit und psychischer Verwahrlosung durchzieht ein Unterstrom tiefschwarzer Komik. Das auf den ersten Blick Unspektakuläre des Romans ist reine maliziöse Tarnung, das Buch ist mehr als spektakulär, ein absolutes Schwergewicht - und so ziemlich allem weit überlegen, was gerade als "Psycho-Thriller" dahergetrampelt kommt. In einer gerechteren und qualitätsbewussteren Welt auf Platz 1 jeder Besten- und Bestseller-Liste.

Smonk

Smonk von Tom Franklin (pulpmaster) ist, was das production design betrifft, das direkte Gegenteil. Eine Orgie, ein Exzess an Blut, Exkrementen und Körperflüssigkeiten, ein Schlachthaus, ein Bedlam an Gemeinheit, Gewalt, Debilität, Rassismus, Sexismus, Bigotterie und kreischendem Wahnsinn. O.E. Smonk, die titelstiftende, aber den Roman nicht alleine dominierende Figur, ist ein lokaler Tyrann in Alabama, 1911. Widerwärtig, krank, das wandelnde Faustrecht, ein mörderisches und schänderisches Monster tritt er die Handlung los, als er sich weigert, ein Gerichtsverfahren gegen sich zu akzeptieren. Stattdessen legt er mit seinen Spießgesellen eine ganze Kleinstadt in Trümmer und Asche. Eine Kleinstadt allerdings, die von genauso mörderischen und veritabel irren Witwen bevölkert ist. Morden ist sowieso in Franklins Universum aus Schlamm, Dreck und Gekröse eine ziemlich normale Diskursform. Smonks Gegenbild ist die 15jährige Hure Evavangeline, deren Geschäftsidee "Ficken 1 $" ziemlich tragfähig ist (morden macht ihr auch keine Probleme, überleben im Sozialdarwinismus ist schließlich ein hartes Geschäft), die aber dennoch ein utopisches Moment in sich trägt. Ansonsten wimmelt es in dem Roman von zum Breitleinwandformat aufgeblasenen Standardtypen des Westerns - radikalreligiöse Gesetzeshüter, korrupte Richter, deviante Hinterwäldler, dauergeile Pubertanten und so weiter. Smonk schließt bewusst und zitatmäßig an die damals so genannten "Anti-Western" an - vor allem an "The Wild Bunch" von Sam Peckinpah und andere New-Hollywood-Filme (Robert Altman, Arthur Penn, Stan Dragoti) und an die schmutzigen Italo-Western (eher Corbucci als Leone), mit einem Schuss früher Jim Thompson ("Heed the Thunder"), ein bisschen Faulkner. Also alles Narrative, die dem "amerikanischen Traum" nicht unbedingt zärtlich zugeneigt waren. Die aber dessen Dekonstruktion schon so weit und radikal betrieben hatten, dass man daraus kein Originalitätskriterium für Franklin mehr ableiten kann. Aber es ist ein Qualitätskriterium, dass Franklin diesem Pathos der Dekonstruktion (also das Pathos, das auch den "Country Noir" schal wirken lässt, gerade wo er "kritisch" sein will) schon beinahe parodistisch zu Leibe rückt. Wortwörtlich: Denn sein Karneval der grotesken Leiblichkeit entsteht aus Sprachoperationen, aus der Mischung eines schon fast alttestamentarischen Erzählgestus mit unendlichen vielen "fremden" Stimmen (erstaunlich, wie viel Müll er in die Köpfe seiner Figuren völlig plausibel implantieren kann) und ganz jetztzeitlichen Sarkasmen und Lakonismen. Dadurch gerät die Drastik zum wollüstig vergnüglichen, opulenten Spektakel mit extrem hohem Unterhaltungswert, das aus dem ganzen Elend noch ein paar ästhetische Dimensionen herauslockt. Das ist, sagen wir mal, eher undogmatisch. Und deswegen ist Smonk ein literarisches Meisterwerk.

Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens

Die erhebliche Sprengkraft von Oliver Bottinis Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens (DuMont) liegt genau in den stillen Winkeln verborgen, die dennoch ganz zentral sind, aber die niemand so richtig auf dem Schirm hat. Bottini siedelt seinen Roman im rumänischen Temeswar an und in Prenzlin (einem fiktiven Dorf in der Nähe von Güstrow) in Mecklenburg-Vorpommern, beides Gegenden, die a priori nichts Sensationelles signalisieren. Aber in beiden Gegenden wütet besonders signifikant die Globalisierung in Gestalt der großindustriellen Agrarindustrie, wo Chinesen, Araber und alle möglichen multinationale Player die lokalen Strukturen der Landwirtschaft zugunsten von Monokulturen zerschlagen - koste es, was es wolle. Ein Mordfall in Rumänien, hinter dem zunächst eine Beziehungstragödie zu stecken scheint, führt den dortigen Ermittler Ioan Cozma nach Deutschland, wo er auf Menschen trifft, die genauso wie er durch die Diktaturen, in denen sie aufgewachsen sind, ähnlich beschädigt worden sind. Die mit vielen Hoffnungen erfolgte Abwicklung des "Kommunismus" durch einen dann zunehmend rücksichtslosen Turbokapitalismus macht nicht nur Ökologien und Ökonomien kaputt, sondern vor allem Menschen. Cozma hat während der Ceau?escu-Diktatur fürchterliche Dinge getan, die er inzwischen bereut und die zu neutralisieren er durch seine Existenz im "stillen Winkel" seines Lebens versucht. Für die Leute, die aus Prenzlin nach Rumänien ausgewichen sind, um dort ein neues Leben nach ihren Maßstäben anzufangen, droht die Erkenntnis, dass sie systemischen Dynamiken nicht entkommen können. Was die persönlichen Tragödien nicht erträglicher macht, wie auch ein fieser Killer erfahren muss, der am Ende dann noch nur ein armer Hund ist. Bottini zurrt Privates und Politisches stramm zusammen und das ist bei ihm nicht das genretypische Ausstatten von Hauptfiguren mit privaten Schicksalen, die neben dem Plot herlaufen, sondern konstitutiv. Seine Geschichte muss auf diesen beiden Ebenen spielen, eben weil sie gleichermaßen seine Menschen definieren. Und weil in den unbeachteten Ecken des Kontinents politisch extrem weitreichende Prozesse mit deprimierenden Konsequenzen ablaufen, ist Bottinis Buch explizit politisch (wütende und zornige Untertöne kann und will es nicht unterdrücken) und es ist auch ein gesamteuropäischer (wenn nicht weltweit gültiger) Roman. Großes Kaliber.

München

Wie lasch und bieder und schlicht dagegen München, das neue Buch des (mit Ausnahme von "Fatherland") weit überschätzen Robert Harris (Heyne). Seine Romane aus der Antike - vor allem die über Cicero - waren wenigstens unfreiwillig lustig, weil er das alte Rom ohne ein Hauch von Feeling für Alterität in Parametern von heutigen family values und Cicero als Vorsteher einer Londoner oder New Yorker law firm aufgezogen hatte, und auch sein Dreyfuss-Roman "Intrige" war eigentlich eine Whistleblower-Geschichte nach heutigem Verständnis minus des krass antisemitischen Kerns der historischen Ereignisse. Jetzt also das Appeasement von 1938. Harris versucht, Chamberlains Politik ex post zu legitimieren: Es sei ihm, so die implizite These des Buches, darum gegangen, den unausweichlichen Krieg mit Deutschland noch ein paar Jahre hinauszuschieben, weil die britische Rüstung noch nicht kriegsbereit war. Im Grunde habe er damit Hitler eine Niederlage bereitet, weil der sofort habe losschlagen wollen. Das ist historisch, naja, diskutabel, wenn auch keinesfalls originell. Um die Münchner Konferenz herum bastelt er dann einen schwachen Plot: Eine deutsche Widerstandsgruppe plant den Putsch, möglicherweise auch schon die Ermordung Hitlers, wenn es nur gelingt, den Chamberlain'schen Plan scheitern zu lassen. Weil Hitler sich aber von Chamberlain beschwatzen lässt, entfallen Attentat und Putsch. That's it und alle gehen nach Hause. Nazi sells, und so hüpfen die üblichen Knallchargen durch's Bild - Himmler lacht fies, Ribbentrop ist blöd, Mussolini eitel, Daladier verpeilt, die SS ist roh und das diplomatische Corps opportunistisch, das Volk trägt Lederhose und Dirndl und sauft Bier. Ach ja, wo doch Deutsche und Brite so gute Freunde sein könnten wie die beiden jungen Diplomaten, die das jeweils Gute in ihren Nationen verkörpern. Das ganze in Holzschnittprosa, ohne Pointe, ohne Clou. Guido-Knopp-Geschichte mit Laiendarstellern. Einschlafhilfe.

Zu viele Köche

1938 ist auch das Jahr, in dem Rex Stouts Zu viele Köche (Klett-Cotta) erschienen ist. Es geht um einen Mord an einem Star-Koch während eines Contests der Spitzenköche aus aller Welt, an dem natürlich der Supergourmet Nero Wolfe und sein bodenständiger Legman Archie Goodwin teilnehmen, auch wenn der notorisch bewegungsunlustige Wolfe sich dafür in ein schickes Land-Resort aufmachen muss. Bis der Mord dann geschehen ist und wenn er geschehen ist und sich das per se ermüdende Mahlwerk des Whodunnit quälend langsam in Bewegung setzt, wird pausenlos geredet und raisoniert und raisoniert und geredet und dann wieder geredet. Verdächtige werden befragt und dann werden Verdächtige befragt und später Verdächtige befragt: Mit anderen Worten: "Zu viele Köche" ist eine dramaturgische Katastrophe, sicher einer der schwächsten Nero Wolfe Romane, wo gibt. Das interessanteste an diesem Buch ist das exzellente Nachwort von Tobias Gohlis, der den Roman in die richtigen Kontexte (neben den kriminalliterarischen) stellt: In den konsumkritischen Diskurs von Thorstein Veblen, in die Rassismus-Kritik der Zeit und, vor allem virulent, in den amerikanischen Antifaschismus. Gohlis dechiffriert den Roman "als Paradebeispiel für einen Kriminalroman, in den eine politische Botschaft eingeschrieben ist." Das ist völlig richtig. Beklagenswerterweise ist in diesem Fall jedoch die Botschaft so tief in einen Wust von Schwatzhaftigkeit und sinnfreiem Genregedöns vergraben, dass die schweisstreibende archäologische Anstrengung, sie zu Tage zu bringen, das Lesevergnügen bei weitem überwölbt.

Die NSDAP

Und weil wir gerade in der Zeit sind, noch ein spannendes Sachbuch: Die NSDAP von Sven Felix Kellerhoff (Klett-Cotta). Es handelt sich dabei um eine der wenigen Spezialstudien zu der Partei, ohne die Hitler nicht möglich gewesen wäre und ohne die er sich nicht an der Macht hätte halten können. Vor allem die Anfangsjahre, in der verschiedene national ausgerichtete Parteien und Parteiungen in der NSDAP aufgingen, interessieren Kellerhoff. Denn hier liegt die, neben dem fachhistorischen Gewinn, offensichtliche Anschließbarkeit der Studie an heutige Verhältnisse: Wie funktioniert Populismus, wie radikalisiert sich Populismus, wie wird das Bedürfnis nach einfachen Lösungen mehrheitsfähig? Geschichte wiederholt sich nicht, aber in ihr werden Handlungsmuster und Dynamiken sichtbar, die keinesfalls naturgesetzlich sind, sondern men made. Die Folgerungen liegen auf der Hand.

 

© Thomas Wörtche, 2017

 

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