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Leichenberg 12/2012

 

Killer Country

Wie so oft realisieren sich große literarische Projekte in Crime Fiction: Gerade erscheint mit Killer Country (btb) der zweite Band von Mike Nicols sog. "Rache-Trilogie": Die Geschichte zweier südafrikanischer Waffenhändler, Mace Bishop und Pylon Buso, die zu Apartheids-Zeiten zwar für die richtige Seite (die des ANC) Waffen organisiert hatten, aber nicht ohne Flecken auf der keineswegs weißen Weste geblieben sind. Heute spielen sie die Body-Guards für reiche Leute aus aller Welt, die in Südafrika günstig plastische Chirurgie für die Gattin und Safariabenteuer für den liquiden Herrn suchen. Außerdem versuchen Bishop und Buso verzweifelt an ihr Schwarzgeld auf den Cayman-Inseln ranzukommen und lassen sich deswegen auf einen sehr schrägen Immobiliendeal mit dem Organisierten Verbrechen ein. Was im Südafrika von heute heißt: Die Regierung ist mit an Bord. Und hinter allem lauert ihre große Widersacherin, Shemina February, die gute Gründe hat, sich an unseren beiden Hauptfiguren zu rächen. Nicols Roman spielt in der Zone des moralisch Diffusen, wo auch Killer beinahe nett sein können, wie der sehr beeindruckende Mr. Spitz mit seinem exzellenten Musikgeschmack (Playlist im Buch) und man sich am besten vor dem staatlichen Establishment in Acht nehmen muss. Kriminalliteratur comme il faut.

Todesritual

Ein anscheinend übermächtiger Schurke, der haitianische Voodoo-Gangster Solomon Boukman sorgt auch dafür, dass Nick Stones drittes, kapitales Buch über den gescheiterten Cop und heruntergekommenen Privatdetektiv Max Mingus, der inzwischen 20 Millionen Dollar Beute verprasst hat, den nötigen V-Effekt bekommt, der Literatur erst zur Kunst macht: Todesritual (Goldmann) dreht sich hauptsächlich um die Rolle, die die "Black Panther"-Bewegung in der Beziehung zwischen USA und Kuba gespielt hat - und heute noch spielt. Es geht um den materiellen Verfall von Castros Insel und um den moralischen Rott der USA, und wie beide Seiten mit Menschen spielen wie mit Casino-Chips. Geschickt inszeniert Stone den sich gegenseitig bedingenden Werteverfall beider Seiten, mit großartigen, präzisen Schilderungen von Kuba jenseits der Touristenperspektive (und jenseits staatlicher Zensur) und genauso präziser Analyse wie Korruption und Willkür Polizeiarbeit in Miami zur ordnungspolitischen Farce macht. Der langsame und sorgfältige, durchaus Visionen, Halluzinationen und andere anti-realistische Verfahren nicht meidende britische Schriftsteller Nick Stone gehört nach den drei Max-Mingus-Romane zu den internationalen Schwergewichten.

Süden und das heimliche Leben

In diese Spielklasse gehört auch Friedrich Ani mit seiner Serie über Tabor Süden, den Chronisten des Teils der deutschen Bevölkerung, die weder in der Kunst noch in anderen Medien so recht vorkommen. Die Stillen und die Verzweifelten, die, die nicht von sich reden machen, die in sozialen und psychischen Gegenden hausen, die für niemanden so recht interessant sind - außer es ereignen sich schrille Katastrophen. Anis Bücher setzen da ein, wo die Katastrophen nicht schrill, vielleicht noch nicht passiert sind oder gerade passieren oder unbemerkt passieren - wie im neuesten Buch Süden und das heimliche Leben (Knaur), in dem eine analphabetische Kellnerin Angst vor den Chancen hat, die ihr das Leben bietet. Das ist, wie immer bei Ani, melancholisch und meisterhaft erzählt, jede Szene ein feines Tableau, von leisem Witz und großer Weisheit, wobei mit "immer" lediglich der große ästhetisch-narrative Rahmen gemeint ist. Die Geschichten sind jedes Mal autonom, nicht seriell angelegt, und nicht voraussehbar, weil menschliche Schicksale eben auch nicht schematisch erzählbar sind. Großer Literatur, großes Projekt, kleine Form.

Götterdämmerung in El Paso

Voll aus dem Repertoire des guten, alten Hardboiler bedient sich Rick De Marinis in Götterdämmerung in El Paso (Pulp Master) und bringt es fertig, eine klassische PI-Geschichte von der mexikanisch-amerikanischen Grenze zu erzählen und sich gleichzeitig über klassische PI-Geschichten von der mexikanisch-amerikanischen Grenze lustig zu machen. Und nicht nur über die: Sondern auch über die Fixierung des Kulturbetriebs auf Nazis (Hitler sells), über den Muchomacho-Kult der Gegend, über Schriftsteller mit großkalibrigen Flinten, über Männerfreundschaften, über Dr. Mengele-artige Typen und andere Phänomene mehr, bei denen die größte Ironie darin besteht, dass es sie tatsächlich ganz realiter so geben könnte. Sehr amüsant, elegant gemacht.

Apropos elegant: Repariert und erstmals vollständig auf Deutsch der McCorkle-und-Padillo-Roman Die Backup-Männer von Ross Thomas (Alexander Verlag), bisher nur verstümmelt unter dem strafwürdigen Titel »Was ich nicht weiß, macht mich nicht kalt« auf Deutsch vorliegend. Besonders spannend an dieser maliziösen Geschichte über Loyalität und Rache die durchaus sehr ambivalenten Züge von Michael Padillo, die erst in der Neuausgabe so richtig zum bösartigen Funkeln kommen. Pflichtlektüre.

 

© Thomas Wörtche, 2012

 

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