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Leichenberg 12/2005

 

Russische Verwandte Oft darf man es lesen: Kriminalliteratur sei deswegen so beliebt, weil sie Klarheit in undurchsichtige Verhältnisse bringe. Das ist rührend naiv und gilt vermutlich nur für die schlichteren und deswegen natürlich angenehmer zu geniessenden Exemplare des Genres. Es gilt ganz besonders nicht für einen der bemerkenswertesten Romane der letzten Zeit: Russische Verwandte von Reggie Nadelson (Piper). Im von Neurosen und Hysterie post 9/11 geschüttelten New York muss der russischstämmige Cop Artie Cohen wider Willen tief in der eigenen Familie herumwühlen, um merkwürdige, uneindeutige Verbrechen aufzuklären - oder auch nicht. Er selbst, der Beste aller Amerikaner, scheint dabei vor den willigen Exekutoren des hochparanoiden Patriot Acts nicht sicher zu sein. Nadelson inszeniert den Big Apple unter Schnee und Glatteis als Irrgarten von mehrdeutigen Zeichen, Ängsten und nackter Panik. Extrem spannend und verstörend.

Verstörend auch Tony Strongs Auf meiner Haut (rororo). Die Logik des Mordens leitet sich hier direkt von der Logik des Mordermittlungsverfahrens ab. Weil der Londoner Detective Inspector Bill Thomson genau weiß, wie man Morde ermittelt, muss er ein Dienstvergehen mit immer schlimmeren Mitteln verdecken. Das wird dann sehr, sehr blutig. »Auf meiner Haut« ist einer der Romane, die aus der fast fotorealistischen Schilderung von Polizeiarbeit wirklich Honig saugen und sie nicht nur als Kulisse für debile Plots benutzen, wie das bei der Mehrzahl der Serialkiller-Schwarten der Fall ist. Exzellent!

The Scorpion's Gate Wie superrealistisches Hintergrundwissen allerdings auch zu grottenschlechter Literatur führen kann, zeigt uns Richard A. Clarkes Polit-Thriller The Scorpion's Gate (Hoffman & Campe). Clarke war »Antiterrorismusexperte« des Weißen Hauses und läßt es jetzt fiktional krachen. Es kracht und knirscht aber in der Schote über Chinesen, Iraner und Iraker und die Bedrohung der zivilisierten Welt eher im Gebälk der Dramaturgie. Bemerkenswert ist lediglich, dass sich sämtliche »Leitmedien« auf diesen Ex-und-Hopp-Schmöker gestürzt haben, weil sie darin irgendetwas Realpolitisches vermuten. Das findet aber selten 1:1 in Literatur statt.

Vermittelt natürlich schon - und wie man das hochelegant, witzig, spannend, als Literatur eben macht, zeigt ein schon älterer Roman des grossen Robert Littell aus dem Jahr 1986: Tod und Nacht (Knaur; ehemals unter dem Titel »Der Töpfer« auf deutsch erschienen). Die Ermordung Kennedys als geheimdienstliches Nullsummen-Spiel zwischen Ost und West, aufgezogen als multidimensionales Schachspiel brillanter, wenn auch arg bekloppter Köpfe - das zielt natürlich auf eine Leserschaft, die intelligente Romane nicht als Bedrohung, sondern als Freude empfindet.

Arg bekloppte Köpfe scheinen auch in Ulrike Renks Debüt Seidenstadt-Leichen (Leporello) in Krefeld und Umgebung ein makaberes Puppenmordspiel zu treiben, bis sich echte Leichen zwischen die Puppen mischen. Aber dann traut sich die Autorin entweder nichts, oder sie scheitert an einer gußeisernen Vorstellung, was ein »guter Krimi« ist, der zudem noch »gut geschrieben« sein soll. Der gute Krimi besteht dann in einer Auflösung, die haarsträubend auf »so-muß-es-gewesen-sein,-damit's-aufgeht« getrimmt ist. Und die »gute Sprache« ist resopalglattes Lektoratsdeutsch aus Duden und Halbbildung, wo alle Figuren in ganzen Sätzen reden, die allesamt »druckreif« sind. Im Amtsblatt. Schade, aber dennoch wollen wir uns die Autorin merken. Sie hat, wie mein Investementberater sagen würde »Potential«.

Da entspannen wir uns lieber bei dem grantigen, knorzeligen, begeistert gutmenschlichen Ex-Polizisten Marek Miert aus der Fantasie von Manfred Wieninger Der treibt in einer »tristen Landeshauptstadt im Osten Österreichs« sein erstaunliches Wesen. Sein dritter Auftritt in Der Engel der letzten Stunde (Haymon) prügelt offen, hemmungslos und grob gegen Xenophopie und Rassismus. Das allein macht noch keinen guten Krimi aus, aber wie Wieninger prügelt, das schon.

 

© Thomas Wörtche, 2005

 

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