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Leichenberg 12/2003

 

Seitdem der grosse James McClure keine Bücher über Südafrika mehr schreibt, ist es dort kriminalliterarisch sehr ruhig geworden. Bis auf Deon Meyer. Ich habe vor ein paar Jahren ein oder zwei seiner cop novels gelesen (nein, gibt es noch nicht auf deutsch) und hatte den Eindruck, dass Meyer und seine Figuren sich mit dem Wegfall der Apartheid nur zähneknirschend arrangiert hatten. Jetzt, in dem Roman Tod im Morgengrauen (Knaur) macht er den abscheulichen Rassismus des alten Systems deutlich zum Thema. Es geht um eine alte Geheimdienst-Affäre aus den 80ern, die heute wieder hochkocht und zu einem erheblichen Anfall von Leichen führt. In diesen Polit-Thriller montiert Meyer das Porträt des Ex-Cops Zatopek van Heerden ein und noch ein bis zwei kleinere Serial-Killerromane und eine Ehebruchsgeschichte und eine Familienchronik und, und, und. Too much, möchte man angesichts von 570 Seiten schreien. Und das ist auch das Problem des Romans, der dennoch eine Reihe guter, bis sehr guter Szenen hat: Zum Beispiel die Schlägerei, die van Heerden beginnt, als ein ignoranter Mediziner anfängt, auf Mozart herumzutrampeln. Aber so ganz paßt das alles nicht zusammen, und die teilweise wilde Action läuft dann auch wegen too much aus dem Ruder. Trotzdem: Meyer ist ein interessanter Autor, und wir sind gespannt, wohin er sich entwickelt.

Man könnte too much aber auch als genre-crossing interpretieren. Wie man das richtig gut macht, hat eine der wunderlichsten Figuren der Weltliteratur schon vor hundert Jahren vorgeführt, als unsere heutigen »Genres« noch gar nicht richtig ausgefaltet waren: Guillaume Apollinaire. Irgendwo unterwegs zwischen Symbolismus und Surrealismus landete er 1910 mit dem Erzählungsband Erzketzer & Co seinen größten Bucherfolg (richtig berühmt allerdings wurde er mit seinen Gedichten: »Alkohol«). Den gibt es jetzt wieder beim Verlag Das Wunderhorn, schön aufgemacht und kommentiert von Hans Thill. Apollinaire verwirbelt Krimi, Fantastik, Burleske und andere unterhaltsame Formen vergnüglich, spannend und schön herzlos. Nix für Mainstream-Fans, aber alle anderen werden ihre helle Freude daran haben.

Kein einziger intelligibler Mensch aber kann die prächtigen, opulenten und schlicht genialen graphic novels, vulgo Comics von Jacques Tardi nicht mögen. Gerade ist der zweite Teil des Mammutpanoramas über die Pariser Kommune 1871 erschienen: Die zerstörte Hoffung. Das ganze Projekt nach einem Roman von Jean Vautrin heisst »Die Macht des Volkes« und ist ein historischer Polit-Thriller vom Feinsten (edition moderne). Wenn man einmal in die Bild- und Textwelt von Tardi/Vautrin eingetaucht ist, kommt man so schnell nicht wieder los. Eigentlich gar nicht.

Gar nicht beirrbar von irgendwelchen Zuckungen des Zeitgeistes zieht der Austro-Australier Heinrich Steinfest weiter seine Bahnen. Ein sturer Hund (Piper) heisst sein neues Buch über den merkwürdigen Privatdetektiv Cheng, dessen Name hier zum ersten Mal auf Seite 105 fällt. Sowas muss man können - und Steinfest kann es. Denn bis Cheng endlich auftritt, haben wir uns schon aufs Feinste an Steinfests einzigartiger Prosa geweidet, die Süffisanz, Sarkasmus, blanke Menschenfeindlichkeit und subtilsten Humor ohne jeden Hauch von Prätention verbindet. Die Geschichte vom einsamen Schriftsteller Mortensen und dem Kopf seines einzigen Lesers, der elegant in einem Aquarium endet, entwickelt Dimensionen, die wir uns nicht vorzustellen wagen. Keine Panik, Steinfest gehört nicht zu denen, die den »hohen Ton« bemühen müssen, um den deutschen Kriminalroman zu pseudonobilitieren. Er schreibt einfach auf hohem Niveau.

 

© Thomas Wörtche, 2003

 

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