legal stuff Impressum Datenschutz kaliber .38 - krimis im internet

 

Leichenberg 12/2000

 

Als der Italo-Western müde, aber auch extrem raffiniert geworden war, inszenierte er sich schliesslich als eine Reihe von Show-Downs - als Reduktion auf das wesentliche Spannungsmoment, das damit zum Kontinuum wurde. Sowas ging ein- bis zweimal gut, dann wurde es algorithmisch und langweilig, hatte aber zweifelsohne die allgemeinen Massstäbe für Thrill und Suspense höher gelegt. Ähnlich clever inszenieren John Lutz und David August ihren Roman Bis zur letzten Sekunde (Heyne): Eine Art Super-Juggernaut. Das Duell zwischen dem genialen Bombenleger, der am Ende Madonna in die Luft sprengen will, und dem genialen Bombenentschärfer, dem niemand glauben möchte, besteht aus einer solchen Kette finaler Konfrontationen. Das ist rasend spannend gemacht, obwohl wir jede einzelne Situation kennen. Bis auf die allerletzte.

Alles ist hier in Action übersetzt, kaum etwas in Bilder. Aber für Prosagemälde haben wir ja einen Altmeister - Arthur W. Upfield. Der sterbende See (Goldmann), gerade wieder aufgelegt, ist eines seiner stärksten Napoleon-Bonaparte-Bücher. Ein See trocknet aus, und am Ufer warten eine ganze Menge Leute darauf, dass er seine scheusslichen Geheimnisse preisgibt. Ein Kriminalroman in Zeitlupe, eine Studie in Hitze und Trockenheit und auch da wieder: Thrill und Suspense in kaum auszuhaltender Intensität.

Und wenn wir schon bei Klassikern sind: Auch Maigret in der Liberty Bar von Georges Simenon (Diogenes) ist wieder lieferbar. Auch das ein grandioser Roman über Hitze, Sonne, das Mittelmeer, intensive Gerüche, surreale Farben und schräge Figuren. Maigrets Rekonstruktion des Lebens eines heruntergekommenen Säufers, der beinahe seinen Frieden in der Liberty Bar findet, dem "letzten Zufluchtshafen, wenn man alle Laster gesehen und ausprobiert hatte", ist auch eine Liebeserklärung an Barschlampen und ernsthafte Trinker. Aber: der Roman stammt aus dem Jahr 1932. Dennoch geht darin die CIA (gegr. 1947) um und ferngesehen wird auch - in dieser deutschen Fassung, die sich "überarbeitet" nennt. Das ist ein schlechter Scherz.

Deutlich an Simenon orientiert sich der Schwede Håkan Nesser, was ihm hinsichtlich einer dichten, grau-in-grauen Atmosphäre bei Münsters Fall (btb-HC) auch gelingt, die an die Flandern-Bücher des grossen Belgiers erinnert. Sehr schön auch der Story-Twist im letzten Kapitel, als man denkt, alles ist klar. Nicht Simenon'sch jedoch ist Nessers Schielen auf den Zeitgeist, das den Plot unnütz durchsichtig macht. Papa ermordet, Tochter im Irrenhaus, Restfamilie verschworen - ach ja, das Inzest-Klischee der 90er.

Aber trotzdem lieber solch ein eher sensibel behandeltes Klischee als die immer unappetitlicher werdenden Militär-Thriller aus dem brackigen Clancy-Fahrwasser. Diesmal ballert ein US-Super-Kriegsschiff mit einer Super-Kapitänin (als ob's das besser macht) ganz alleine die gesamte argentinische Marine nebst Luftwaffe zusammen, weil die "Dagos" sich erdreisten, vor dem Welt-Polizisten USA nicht strammzustehen. USS Cunningham - Im Fadenkreuz heisst dieser widerwärtig feuchte und rassistische Grossmachttraum, zum Vortrag gebracht in kitschigster Landserprosa von James Cobb (Heyne).

Das schönste Bilderbuch des vergangenen Jahres aber heisst Abwärts und ist von Jacques Tardi gezeichnet und von Daniel Pennac getextet (Edition Moderne) - ein buntes, spanndendes, witziges, kluges, vertracktes, politisch scharfsinniges und ganz und gar abgedrehtes Comic-Album, das man stundenlang betrachten kann. Tu felix Francia ...

 

© Thomas Wörtche, 2000

 

« Leichenberg 11/2000 zurück zum Index Leichenberg 01/2001 »

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen