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Leichenberg 11/1997

 

Bekanntlich hat die Psychoanalyse in den Köpfen mittlerer und minderer Schriftsteller allerlei Geschlechts recht viel Krauses angerichtet. Ähnlich intellektuellen Schabernack richtet bei dito mittleren und minderen Herstellern von Serial-Killer-Ware das "Profiling"-Programm des FBI in Quantico, Va. an. Reden wir nicht von den realen innenpolitischen Implikationen, die dieses Programm in den USA auch hatte (Stichwort: Budgetumschichtungen), sondern "nur" von literarischen Folgen:

Eine vor lauter angeblichem "Profiling"-Spezialwissen nur so gockelnde und endlos plappernde literarische Figur ist der "Sonderfahnder" Tom Sundbye, der in Oslo einem besonders artigen Serial-Killer nachstellt. Denn der hat sicher auch die Readers-Digest-Version des Profiling gelesen und mordet penibel nach deren Anweisungen. Schön für die Leser, daß der Autor seinen Ich-Erzähler immer seitenlang vorher erklären läßt, was der Unhold demnächst unternehmen wird. Ein so gestrickter Roman überfordert wirklich gar niemanden. Der Biedersinn von Held, Schurke und Autor hat Methode. Herausgekommen dabei ist eines der köstlichsten Bücher der letzten Jahre: Die Osiris-Morde von Morten Harry Olsen (Ullstein). Es tut dem Lesevergnügen überhaupt keinen Abruch, daß der Roman todernst gemeint ist; auch unfreiwillige Komik hat hohe unterhaltende Qualitäten. Kritisch anzumerken bleibt nur, daß 300 Seiten für diese Art Scherz & Frohsinn denn doch ein wenig viel sind.

Vom Scherz & Frohsinn, die früher den Charme der Celebrity-Thriller von George Baxt ausmachten, ist im Mordfall Marlene Dietrich (Haffmans bei Heyne) leider nichts geblieben. Das Konzept der Serie ist ausgeleiert, und Baxt ist faul geworden. Zwar haben ihn die Fälle, die seine Berühmtheiten jeweils zu lösen haben, noch nie sonderlich interessiert, aber der undurchschaubare Wust aus Nazis und Wahrsagern, mit denen sich Marlene rumschlagen muß, ist schon fast eine Unverschämtheit. Dann lieber nur Anekdoten ohne Handlung, aber dafür mit mehr guten Pointen.

Verblüffend der nach langen Jahren erste neue Roman von Gerhard Neumann. Seine Vorliebe für eine mäandernde, dem 19. Jahrhundert nach-stilisierte Sprache kennen wir aus seinen bisherigen Büchern. In Mord total (DIE) kündigt er jede Bindung zu Realitäten auf und legt eine schräge Mischung aus man-on-the-run-Motiven à la John Buchan und James-Bond'schem Superschurken-Plot vor, dargeboten in eben dieser mäandernden und hochstilisierten Sprache, in der auch die Dialoge auf Distanz zu jeglichem Realismus-Verdacht gehen.

Eine Zentralfigur des Kalten Krieges war im richtigen Leben Ernesto Guevara, der zur Zeit aus gegebenem Anlaß (erschossen am 8.10.'67) mediennotorisch ist. Das sollte aber keinesfalls von der Lektüre der Che-Biographie von Paco Ignacio Taibo II (Nautilus) abhalten, ein 700-Seiten Backstein, dessen Wertungen man sich nicht unbedingt anschließen muß. Aber ein narratives Meisterwerk beim Transfer kriminalliterarischer Methodik auf einen sehr realen Gegenstand. Taibo ist ein wunderbarer Schriftsteller. Deswegen gelingt es ihm auch bei diesem ideologisch und ikonographisch höchst heiklen Thema (Che ist zudem noch ein bis zur Unverbindlichkeit aufgelöster Pop-Star), Klarheit und Schärfe der politischen Aussage mit Momenten ästhetisch erzeugter Magie und Un-Eindeutigkeit zu verweben. Das Ergebnis ist (bei allem Bombardement mit Fakten & Zitaten) ein extrem spannendes, kluges Buch. Der "Roman" eines Lebens, ein Polit-Thriller als Biographie. Oder eine Biographie als Polit-Thriller.

© Thomas Wörtche

 

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