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Leichenberg 11/2016

 

Zerrüttung

Finstere Bücher in finsteren Zeiten. Oder für finstere Zeiten? Schon okay, denn ausgerechnet Kriminalliteratur ist für Bespaßung eher wenig geeignet. Einen ziemlich extremen Dunkelwert bietet Zerrüttung von Jon Bassoff (Polar). Das Drama fängt mit einer Charles-Williams/Jim-Thompson-artigen Standardsituation an: Ein Veteran mit entstelltem Gesicht und Schrottkarre bleibt in einem runtergeranzten Kaff in the middle-of-nowhere hängen. Er beschützt die Dorfschönheit vor ihrem Brutalinski von Ehemann, hüpft mit ihr in die Kiste und soll, solchermaßen umgarnt, den fiesen Gatten aus dem Weg räumen. Aber die Lady ist natürlich eine üble Schlampe. So weit, so topisch. Und im Grunde: Gähn. Aber Bassoff, lange Jahre Verleger der großartigen "New Pulp Press", repetiert natürlich keine Formel, sondern treibt sein Zersetzungswerk an Sitte, Anstand und Moral radikal weiter. Zur Stimmung in bestimmten Teilen der USA passend, logischerweise mit Hilfe des Herrn. Denn der nette, vom Leben und Krieg arg gerackelte und gebeutelte Veteran ist alles andere als das. Eher Mr Hyde & Mr Hyde, und das auch noch mit einer schwerreligiösen Macke. Alttestamentarischer Furor generiert blutigen Wahnsinn, blutiger Wahnsinn basiert auf alttestamentarischen Furor. Und der tobt sich an den noch Schwächeren aus - an den Alten, Kindern und vor allem Frauen. Lügen, Verstellung, blanke Gewalt, schön verwoben mit allen paradoxen Metaphern, die die Heilige Schrift hergibt: Der Himmel als Dauerhölle. Schizophrenie als Camouflagetechnik, Religion als Legitimationsschild für alle Brutalität. Und dabei wohl wissend, dass all das böser Schein und Trug ist. Bassoff verbaut alle versöhnlichen Interpretationswege. Am Ende steht die totale Zerrüttung. Die konsequent herzustellen, hat dem Autor deutlich einen Höllenspaß gemacht. Aber das hat, siehe oben, mit Bespaßung so gar nichts zu tun. Man muss wahrlich nicht alles, was dementsprechend posiert, auf noir trimmen - aber »Zerrüttung« ist in der Tat noirnoir. Derek-Raymond-Klasse.

Blau ist die Nacht

Auch nicht wesentlich heller ist Eoin McNamees Blau ist die Nacht (dtv), der Abschluss seiner Blue-Trilogie (»The Blue Tango«, »Orchid Blue«), die sich auf authentische Mordfälle im Belfast in den 1940er und 1950er Jahre bezieht. 1949 wird eine katholische Witwe von einem Protestanten ermordet. Eine Verurteilung des Mörders würde, so denken die Politicos, eine Gewaltwelle auslösen. Also muss, entgegen jeder Evidenz, ein Freispruch her. Gleichzeitig will aber der zuständige Ankläger, Lancelot Curran, politische Karriere machen. Er muss also unangreifbar verlieren. Die Manipulation des Prozesses gerät zu einem ekligen Spektakel aus Korruption, glatten Lügen, finsteren Hinterzimmerabsprachen und der gnadenlosen Ausnutzung jeglicher menschlicher Schwächen und Verfehlungen - und einem atemberaubenden juristischen Verfahrenstrick. Der sich womöglich rächt, als 1952 die Tochter des Anklägers abgeschlachtet wird. Auch wenn es diese Mordfälle wirklich gegeben hat, McNamees Roman ist keinesfalls true crime. Die ästhetische Inszenierung ist eine meisterhafte Studie in Atmosphären - alles ist in der Tat in eisig blaues Licht getaucht, in grauen Regen und wabernden Nebel. Klamm und kalt die Justizgebäude, muffig-bombastisch der Gerichtssaal, abweisend und steinig der Herrensitz The Glen, abstoßend das Interieur des Gefängnisses, wo next door der Galgen wartet. Verzweifelt das Irrenhaus Broadmoore, in dem die tatverdächtige Gattin des karrieregeilen Anklägers endet, während der trostlos seine Kohle verzockt. Und diese Atmosphäre herrscht auch in den Seelen und Herzen (naja) der Personen: Irrsinn, Korruption, Arroganz. Sex ist nichts Schönes in dieser Welt, die noch nicht einmal auf die eine große Katastrophe zuläuft, sondern die einzelnen Katastrophen in trübster Katatonie gewähren lässt. Ein Meisterwerk der Kälte.

Die Schuld vergangener Tage

Nach langer Durststrecke gibt es endlich einen neuen Roman eines der wichtigsten zeitgenössischen Autoren, dem in Australien lebenden Südafrikaner (beide Gegenden sind im Moment das lebendige Herz des Genres) Peter Temple. Auch wenn Die Schuld vergangener Tage (Penguin) schon aus dem Jahr 1998 stammt. Im Grunde ist die Geschichte vom Ex-Cop Mac Faraday, der seine Ruhe als Schmied auf dem Land finden will, und von seiner Vergangenheit eingeholt wird, als er einen tot aufgefundenen Freund und sich selbst rehabilitieren will, die bessere Ausgabe eines Dave-Robicheaux-Romans. Wo dessen Erfinder James Lee Burke metaphysisch herumwölkt und schon beinahe naturreligiöse Züge auffährt, erzählt Temple seine Geschichte straffer, kantiger und konzentrierter. Auch bei ihm spielt Natur eine Rolle, aber nicht so platt als Gegensatz zur verdorbenen Stadt wie bei Burke, sondern eher als zwar beeindruckendes, aber auch abweisendes Phänomen, das, wie jede Art Umwelt, dem Menschen nicht nur wohlgesonnen ist. Temples Thema ist schon immer die formale Legalität illegaler Vorgänge, die Korruption des Staates, betrieben durch ihre Repräsentanten. Noch stemmt sich Temples Held mit gewissem Erfolg gegen diesen systemischen Rott, noch kann es vielleicht privates Glück geben. Auch wenn am Ende keine Idylle winkt. Der ästhetische Reiz des Romans liegt auch an der Weigerung, Dinge zu erklären, er erzählt sie einfach. Der Plot scheint sich aus den Figuren zu entwickeln, über die wir am Anfang herzlich wenig wissen, bis am Ende der Plot die Figuren dominiert. Das ist sehr, sehr clever gemacht. Und zeigt schon früh, warum Temple einer der ganz Großen ist.

Ein Schlag ins Gesicht

Hommagen an die ganz Großen von Jim Thompson bis Elmore Leonard durchziehen Franz Doblers Ein Schlag ins Gesicht (Tropen), seinem zweiten Roman mit dem (mittlerweile) Ex-Cop Robert Fallner, der hier in der Securityfirma seines Bruders anheuert und eine Ex-Schauspielerin (die in Alois-Brummer-artigen Filmen à la "Die Satansmädels von Titting" in den 1970s Kult war) von einem fiesen Stalker befreien soll. Das ist, von der Intensität des Crime-Elementes her, eher low level, aber das schadet dem Roman überhaupt nicht. Fallner treibt mit melancholisch-nostalgischem Blick und herrlichen Sprüchen und wisecracks durch die Überbleibsel der alten Münchner Kneipenszene um den Hauptbahnhof, hat mit den wunderlichsten Gestalten und Typen zu tun, die in den Nischen unsere durchformatisierten Welt ihr trotziges Dasein fristen. An solchen Stellen ist Fallner ein naher Verwandter von Friedrich Anis Vermisstenfahnder Süden, der auch prompt von Fallner vermisst wird, denn man wisse nie so genau, wo Süden sich gerade rumtreibt. Dobler erzählt eher mosaikhaft, episodisch, vermischt Narratives mit inneren Monologen, mit Reflexionen und Anekdotischem, mit streng durchrhetorisierten Passagen, switcht durch verschiedene Sprachebenen, hat eine hohen Sinn fürs Komische, fürs Bizarre, fürs Poetische, das bei ihm auch in den abwegigsten Ecken aufscheinen kann. Nebenbei kommt dabei noch eine kleine Kulturgeschichte der 70er Jahre zum Vorschein, all die Moden, Interieurs, Filme (natürlich auch der Neue Deutsche Film und R. W. Fassbinder) und Musik und die politische Wetterlage selbstverständlich auch. Tempi passati zwar, aber kein Hauch von "früher-war-alles-besser", was nicht heißt, dass heute alles gut ist. Au contraire. Weil »Ein Schlag ins Gesicht« ein wunderbarer München-Roman ist, der genau hinschaut, präzise und überraschend aus einem sehr originellen Blickwinkel, ist er auch ein großartiger Kriminal-Roman sui generis, der sich seiner Minen und Quellen und Voraussetzungen sehr bewusst ist, und damit ein großartiger Roman. Von wegen "Gesetze des Genres"!

Eine wichtige Mine und Quelle unserer Vorstellungen von Krieg, Gewalt, Terror und Elend, auch wenn wir uns ihnen nicht mehr deutlich bewusst sind, ist der Radierungszyklus »Les Misères et les Malheurs de la Guerre«, deutsch: Die großen Schrecken des Krieges von Jacques Callot aus dem Jahr 1633. Der Limbus Verlag präsentiert eine hübsche Ausgabe der 18 Blätter, kommentiert von Bernd Schuchter, der unter dem Titel »Jacques Callot und die Erfindung des Individuums« bei Braumüller den Kontext in einem essayartigen Begleitbändchen breiter ausfaltet. Callots andere, seine "friedlichen" Arbeiten, inspirierten bekanntlich E. T. A. Hoffmanns »Fantasiestücke in Callots Manier«, die Bildwelten des Kriegs-Zyklus wanderten direkt in Goyas »Desastres de la Guerra« und von dort aus in die globale Ikonographie, wo sie bis heute unsere Wahrnehmung prägen und selbst noch in den ödesten Schockern präsent sind, wo man sie gerne als "verdammt realistisch" preist. Ein wichtiges Projekt wider die Geschichtsvergessenheit und ein Baustein für die historische Bedingtheit unserer Existenz.

 

© Thomas Wörtche, 2016

 

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