legal stuff Impressum Datenschutz kaliber .38 - krimis im internet

 

Leichenberg 11/2011

 

Zeit des Zorn

Nach dem Riesenpanorama Tage der Toten legt Don Winslow mit Zeit des Zorns (Suhrkamp) jetzt sozusagen ein Detail aus demselben Themenkreis der mexikanischen Drogenkartelle vor, deren Wirken längst in die USA hineinreicht. Das Baja-Kartell (nach der Baja de California) muss sich gegen Politik und humorlose Rivalen durchsetzen. Deswegen wäre eine Expansion in die USA nicht schlecht, zumal mit dem dortigen Markt für Designer-Dope eine Menge Kohle zu machen ist. Also erhalten Ben, Chon & O, die eine kleine, aber feine Herstellungs- und Distributionsfirma für Top-Quality-Hydro-Gras betreiben, eines Tages Geschäftspost: Das Kartell möchte verhandeln und schickt deswegen ein Video, das sieben mit der Kettensäge geköpfte Menschen zeigt, die die Verhandlungsziele des Kartells nicht wohlwollend in Betrachtung gezogen hatten. Ben ist ein Öko-Nerd, Chon, ein Ex-Marine, der Mann fürs Grobe, und Ophelia, genannt O, die flippige Millionärstochter, mit einer völlig durchgedrehten Althippiebraut als Mutter. Sie unterhalten eine glückliche menage à trois, eine zeitgenössische Variante von Butch Cassidy & Sundance Kid, featuring Katherine Ross als Etta Place. Das Kartell schnappt sich O, die Sache wird sehr blutig. Winslow inszeniert eine bewusst sehr einfache Geschichte mit raffinierten literarischen Mitteln: Anti-episch, komödiantisch, satirisch, lyrisch, zynisch und poetisch. Der Roman ist ein Manifest wider den puritanischen Zeitgeist. Es feiert guten Sex auch außerhalb der family values, gute Drogen, den Spaß am Leben und das Recht, all das notfalls mit großkalibrigen Waffen gegen die gierigen Bestien, die auf Macht und Profit aus sind, zu verteidigen. Auch wenn die Realität eher anders aussieht. Grandios!

Crime

Dagegen sieht Irvine Welsh (»Trainspotting«) nicht so dolle aus: Crime (Kiepenheuer & Witsch) heißt sein aktueller Roman über einen ausgebrannten schottischen Bullen, der obsessiv Kinderschänder jagt, einen Burnout hatte und ausgerechnet in Florida wieder auf die Beine kommen will. Prompt kracht er wieder auf eklige Kinderschänder und tut alles, um ein zehnjähriges Mädchen zu retten. Das ist der nicht sehr originelle, aber eher gelungene Teil des Buchs, weil Welsh da Emotionen und Dispositionen direkt in Action umsetzt, Gewalteruptionen mehr sagen als allerlei Erklärungen. Erklärungen liefert der zweite Strang, der in oft redundanten Rückblenden psychologisch vorbildlich und einwandfrei erklärt, wie unser Held so wurde, wie er wurde. Auch da hält sich der Überraschungsfaktor in Grenzen, aber die manierierte, umständliche Erzählhaltung macht alles nur noch langweiliger und durchschaubarer. Immerhin, Welsh geht einigermaßen unhysterisch mit dem Pädophilen-Thema um.

Das gilt erst recht für Die Farbe der Leere von Cynthia Webb (Ariadne). Hier geht es um finale Gewalt gegen Jugendliche, die in Pflegschaft oder in Heimunterbringung gesellschaftlich marginalisiert sind. Eine kleine Schar tapferer Anwältinnen kümmert sich im Namen der Administration for Children's Services in NYC um diese Gruppe, aber alle sind hoffnungslos überfordert. Eine dieser Anwältinnen soll der Polizei helfen, den Killer zu fassen. Cynthia Webb, die selbst ACS-Anwältin war, schreibt im besten Sinne engagiert. Kein Sozialkitsch, keine betroffen triefende Didaktik, sondern coole Dialoge, plausible Figuren und eine Menge sehr realistischer Wahnsinn. Literatur als Aufklärung, das geht hier gut, weil Webb nicht nur beobachten, sondern auch schreiben kann. Bei minderen Geistern allerdings oft ein verheerendes Konzept. Und vielleicht möchte Ariadne auch mal darüber nachdenken, dass man Bücher attraktiver aufmachen könnte?

Ausgesaugt

Gilt auch für Heyne, wo gerade der 5. und letzte Teil des Joe-Pitt-Saga von Charlie Huston erschienen ist: Ausgesaugt. Vampyr Joe Pitt gehört nicht zur harmlosen Biss-(Un-)Kultur. Die Saga ist eine erfreulich rustikale, mit bösen Sprüchen und unschönen Erkenntnissen über homo sapiens gespickte Dystopie über eine verseuchte Welt, in der es zugeht wie in der unseren: Idealisten und Pragmatiker, Machtjunkies, Außenseiter und Ideologen, Visionäre und Spinner, Liebende und Verräter gehen bis an die Zähne bewaffnet aufeinander los. Eine bluttriefende Parabel, kein Konsens- und Knuddelquatsch.

Wer sich für die historische Blaupause all der Verseuchungs-, Vampir-, Zombie- und anderer Kontaminierungsbücher und -filme interessiert, sei dringend auf die kompakte und flott zu lesende Geschichte der Pest verwiesen: Der schwarze Tod in Europa. Die große Pest und das Ende des Mittelalters von Klaus Bergdolt (C.H. Beck).

 

© Thomas Wörtche, 2011

 

« Leichenberg 10/2011       Index       Leichenberg 12/2011 »

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen