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Leichenberg 11/2004

 

Sex & Crime Was man ja immer gerne vergisst bei allfälligen Debatten um die deutsche Krimi-Tradition: Sie mag nicht dolle sein, hat aber schon früh eine Oper aufzuweisen - Sie wissen schon, die von B. Brecht & Co. - und noch früher natürlich jede Menge Balladen um Sex & Crime. So heisst auch eine prächtige Doppel-CD, auf der der wunderbare Michael Quast zu der Musik von Ted Banger etliche Klassiker dieses Genres zum Vortrag bringt. Unter der Regie von Kathrin Fischer hören wir Einschlägiges von Mörike, Hebbel, Hölty, Heine, Geibel, Uhland, Fontane, Schiller und Goethe (für Vampir-Fans und Nekrophile besonders empfehlenswert: »Die Braut von Korinth«) und, und ... Den erschröcklichen und wunderlichen Sujets angemessen, bewegt sich dieses Projekt zwischen Ironie, der Wollust des Chargierens und gebührendem Respekt einem einst zurecht populären Genre gegenüber, das nicht nur unfreiwillig komisch ist. Sehr unterhaltsam! (Lido/Eichborn)

In Edinburgh ist Mord verboten Unfreiwillig komisch hingegen wäre beinahe Alexander McCall Smiths In Edinburgh ist Mord verboten (Blessing) geraten. Dieser pseudo-philosophische Kriminalroman mit dem drohenden Untertitel »Miss Isabel und der Club der Sonntagsphilosophen« ist wegen seiner gnadenlosen Bildungsbratzerei, die dann doch aus Schubert und Mahler deutsche Komponisten macht, und eben seiner Moralphilosophiererei, die dem Niveau von Blond am Freitag entspricht, aber mit sehr abgespreiztem Finger daherkommt, per se ziemlich grenzwertig. Trotzdem reicht es nicht ganz zur unfreiwilligen Komik, weil es sich dabei vermutlich um das langweiligste Buch handelt, bei dem ich je eingeschlafen bin.

Der unschuldige Engel An Einschlafen ist bei dem neuen Banks-Roman von Peter Robinson: Der unschuldige Engel (Ullstein) nicht zu denken. Nicht weil der Plot sonderlich originell und überraschend läuft oder weil der Mörder zweier Schulmädchen im mittlerweile vertrauten Eastvale nicht relativ schnell feststünde, sondern weil Robinson diesmal als Hauptperspektive in den Kopf eines unschuldig unter Verdacht geratenen Lehrers schlüpft und die psychologischen und sozialen Verheerungen einer leicht verpfuschten Polizeiarbeit protokollieren läßt. Kleine, im Alltag unerhebliche Details werden riesengross, menschliche Schwächen werden monströs, (Selbst-)Gewissheiten verrutschen. Ein beeindruckendes Buch!

Als die Zeit im Sterben lag Beeindruckend auch Als die Zeit im Sterben lag von Robert Clausen (Fischer TB) - ein deutscher Erstling mit ungewöhnlichem Ton und einem knappen, glasklaren und eigenwilligen Stil. Ein sehr melancholischer, stiller Roman über arme reiche Leute. Wir werden den Autor sorgfältig im Auge behalten.

Gar nicht sorgfältig genug kann man bekanntlich Jacques Tardis Bilder betrachten und sich gar nicht genug wundern, wie er zeitgeschichtliche Akkuratesse, Porträt und Typologisierungen, Detailrealismus und Abstraktion in jedes einzelne seiner Panels hineinbekommt. Von der Miniatur bis zur Vedute und zum Panorama - der dritte Teil seines Opus Die Macht des Volkes mit dem Titel Zeit des Schreckens nach einem Roman von Jean Vautrin ist gerade erschienen (Edition Moderne) und die gute Nachricht dabei ist, dass das ursprünglich auf drei Bände angelegte Mammut-Werk noch einen weiteren Band hervorbringen wird. Zur Erinnung: Tardi/Vautrin erzählen einen sinistren Polit-Thriller aus der Zeit der Parise Commune 1871. Wer das alles nicht mehr so genau parat hat, kann die historischen Eckdaten in einem schönen Nachwort von Christian Koller nachlesen.

 

© Thomas Wörtche, 2004

 

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