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Leichenberg 11/2003

 

Homo sapiens ist ein seltsames Viech. Überall auf der Welt. Unsere eigenen Seltsamkeiten kennen wir hoffentlich gut genug, um uns nicht über die Seltsamkeiten anderer Gesellschaften zu erheben. So lernt man zum Beispiel verblüfft, was Japaner und -innen bereit sind zu tun, damit ihre Sprößlinge eine gute Schulbildung bekommen. Keigo Higashino hat aus diesem Thema ein eisig-klares Buch gemacht: Mord am See (cass Verlag), dessen distanzierte Erzählhaltung ohne jeden Kuscheleffekt das abwegige Verhalten einer Gruppe von aufstrebenden Mittelständlern, denen Mord vor allem ein logistisches Problem ist, erschreckend plausibel macht.

Kuschelig in Zvoran Drvenkars kühnem Roman Du bist zu schnell (Klett-Cotta) sind höchstens die Träume der Hauptfiguren von einer besseren Welt und von besseren Menschen. Aber in Zeiten, in denen Sensibilität am funktionalsten mit Psychopharmaka bekämpft wird, sind das vergebliche Wünsche. Und so geraten drei junge Leute in Situationen, aus sie keine Auswege finden und die obendrein blutig werden. Romane dieser etwas reflektierteren Machart nennt man gerne »sperrig«, was in Zeiten von Donna Leon & Co. schon eine Kaufwarnung bedeutet. Man kann sie aber auch komplex und intelligent nennen. Das ist dann eine dringende Kaufempfehlung.

Ein Hoffnungsträger in kriminalliterarisch flachen Zeiten ist Friedrich Ani, ein Schriftsteller, der zwar enorm polarisiert, aber dennoch erfreulich erfolgreich ist. Gegen jede Prognose: Seine Serien-Figur Tabor Süden und dessen Vermisstenstelle bei der Münchner Kripo behandeln menschliche Schicksale ausserhalb der üblichen Grimmi-Schablonen. Und Ani hat zudem noch einen sehr eigenen, nach zwei Sätzen identifizierenbaren Ton, ist formal extrem flexibel und hat ein großes Gespür für gesprochene Sprache. Gottes Tochter (Droemer) führt Süden nach Rostock und hinein in eine neuzeitliche Variante von Romeo & Julia. Selbst dem Honigseim des Happy Ends entzieht sich dieses kapitale Buch und beweist damit lediglich, daß man alles wagen kann, wenn man es denn kann.

Ein dito verläßlicher Hoffnungsträger für gute Bücher für intelligente Leser ist D. B. Blettenberg, der nach längerer Pause endlich wieder einen hervorragenden Thriller vorgelegt hat: Berlin Fidschitown (Pendragon). Der Vietnam-Krieg geht in Berlin weiter. Präziser: unter Berlin, in seinen Tunnels, Bunkern und Kanälen. Es geht auch nicht mehr nur um Politik, sondern um Märkte. Die sind global, und deswegen kann dieses Buch auch ohne Probleme in Bangkok beginnen. Ein komplexer Plot und D.B. Blettenbergs konzentrierte, womöglich von Buch zu Buch böser und witziger werdende Sprachhaltung zeigen ihn als Autor der internationalen Spielklasse. Immer noch und immer wieder.

Sprachlich unauffällig agieren die vorzüglichen Polizei-Romane von Peter Robinson. Dafür zeichnen sie sich durch tiefes Verständnis von Polizeiarbeit und der sich daraus ergebenden Probleme aus. So auch in Wenn die Dunkelheit fällt (Ullstein) - ein Roman, bei dem es nur oberflächlich um ekelhafte Frauenmorde geht, vielmehr aber um die komplizierten Vorgeschichten, die Verbrechen meistens aufzuweisen haben, und darum, was das alles mit Menschen macht, die, auf welcher Seite auch immer, mit Verbrechen zu tun bekommen.

Auf diesem Gebiet in den USA führend ist ohne wenn und aber Ridley Pearson. Ausser Kontrolle (Bastei) gehört zwar nicht zur Lou-Boldt-Serie, sondern hat den grüblerischen Cop Joe Dartelli als Hauptfigur, aber die Spannung, die Pearson aus forensischen Details, Aktenlagen und den Formalitäten von Ermittlungsverfahren zu produzieren weiss, kann man nur grandios nennen. Realistische Verarbeitung von Polizeiarbeit könne nicht spannend sein - diese Schutzbehauptung kriminalliterarischer Dünnbrettbohrer wird von jedem einzelnen Pearson-Buch massiv widerlegt.

 

© Thomas Wörtche, 2003

 

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