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Leichenberg 11/2000

 

Bundeskanzler-Schiessen scheint das literarische Pendant zur weiland notorischen Moorhuhnjagd zu sein. Gleich zwei Kanzler-Attentatsbücher und beide im selben Verlag, bei Eichborn, das ist immerhin bemerkenswert.

Das erste Buch heisst Die Exekution und ist von Wolfgang Brenner. Exekutiert werden soll der Altkanzler Schmidt, Bergedorf. Und zwar von einem Ex-RAF-Mann, der eigentlich 1977 mit der ganzen Stammheim-Belegung von Staats wegen hätte exekutiert werden müssen, es aber dank eines netten BKA-Präsidenten nicht wurde. Jetzt hat er seine neue Spiesseridentität in Kanada nicht ausgehalten und kehrt nach Deutschland zurück....

Die Idee ist gut, sogar sehr gut: Die Politikos sind 1977 fest der Meinung, in "Staatsnotwehr" das Richtige getan und die RAF-Leute liquidiert zu haben und sind heute sogar ein bisschen stolz darauf, damals keine liberalen Weicheier gewesen zu sein. In Brenners Szenario hatte aber ein Vernunftprinzip namens BKA die Republik vor diesem gröbsten aller groben Fehler bewahrt. Und muss heute mit den Konsequenzen fertigwerden. Brenner kann, technisch gesehen, eine Geschichte auch ganz flott und routiniert erzählen. Trotzdem ist das Buch daneben gegangen. Denn es ist vollauf beschäftigt, mit dieser einen Idee die ganze Zeit zu renommieren, und verläppert sich in fahlen Witzchen, ungenauen und schiefen Figurenzeichnungen und - besonders schlimm für einen Polit-Thriller - erstaunlichen geschichtlichen Überraschungen: Clinton hat den Golf-Krieg angezettelt. Aha !

Kill-den-Kanzler-Buch Nummer zwei ist von anderem Kaliber. Todestag heisst der "Verhörroman" von Tobias O. Meißner, in dem unser aktueller Kanzler schon erschossen worden ist. Von einem merkwürdigen Individuum, dessen nom de guerre Kain Zwaifel ist. Seinem Vehör wohnen wir bei. Natürlich geht es nicht an, Kanzler umzubringen, aber Meißners suggestive Prosa, die alle Verschwörungstheorien literarischer und nicht-literarischer Art elegant ins Leere laufen lässt, führt zum verblüffenden Schluss, dass nichts logischer ist, als den Kanzler umzubringen. Wenn man den bestechenden Argumenten Kain Zwaifels folgt. Das findet dann auch "der Staat". Und deshalb darf der einsame Kämpfer auch den Kanzler gar nicht umgebracht haben. Und schon gar nicht mit diesen seinen Argumenten. Ja, das ist ganz schön clever gemacht.

Das Cleverste an beiden Büchern aber ist, dass sie explizit nicht Alt-Kanzler Kohl umbringen. Vermutlich aus der schlichten Erkenntnis, dass der das selbst schon viel schöner erledigt hat, als jeder deutsche Politthriller es könnte.

Aus der grossen, weiten Welt (harf, harf) der deutschen Bundespolitik ab in die Provinzen. Zunächst in den Schweizer Jura, eine Art, sorry, Jurassic Park für allerlei merkwürdige Figuren. Fliegender Sommer, der neue, lang erwartete Roman von Sam Jaun (Cosmos Verlag) zeigt wieder seinen bedächtigen Privatdetektiv Peter Keller aus Biel bei der Arbeit. Herausgekommen ist, wie stets bei Jaun, ein einzelgängerisches, vertracktes Stück Prosa: Atmosphärisch dicht, glänzend konstruiert, mit einem plausiblen Dilemma (wem nützt die "Aufklärung" eines Verbrechens und wem nicht), aber leider mit allzu ehrgeiziger literarischer Ambition. Ein klasse Krimi, der mehr sein will als ein Krimi und deswegen kein ganz gelunger Roman ist.

Womit wir bei Ulrich Ritzels zweitem Roman aus und um Ulm sind: Schwemmholz (Libelle): Ein intelligenter Provinz-Krimi, aber glücklicherweise kein Country Noir. Voller guter Ideen und hübscher Gags (Fachleute dürfen nach den Quellen forschen) und nur einer Achillesferse: Obwohl es ein Roman über Polizeiarbeit ist, interessiert Ritzel Polizeiarbeit entweder nicht wirklich oder er beugt sie bewusst unter das Joch der Derrick-Dramaturgie. Beides muss nicht sein. Beides könnte sich im dritten Buch ändern. Und diese Hoffnung habe ich bei nur sehr wenigen einschlägigen Autoren.

 

© Thomas Wörtche, 2000

 

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