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Leichenberg 10/1999

 

Natürlich kennen wir die Romane von Agatha Christie schon lange - als Mrs. Marple-Filme mit der gewaltigen Margaret Rutherford oder stargespickte Ausstattungsorgien mit Peter Ustinov als Hercule Poirot. All das gefällt uns sehr, aus den verschiedensten Gründen. Vermutlich meist aus denen des "camp". Als literarische Texte kannten wir bis jetzt Lady Agathas Klassiker in schnuckeligen, ein wenig gekürzten und wohlwollend molligen Übersetzungen. Jetzt hat der Scherz-Verlag zehn ihrer bekanntesten Romane mit erheblichem Aufwand neu übersetzen lassen. Und, nehmen wir als Beispiel Otto Bayers Version von Mord im Orientexpress, siehe da - eine neue Christie wird sichtbar. Ohne Gezopfe und Gezuckere bleibt ein Roman übrig, der alle Register der Autorin enthüllt. Um mit Dorothy Parker zu sprechen: Alle Register von A bis B. Die Christie war, so zeigt sich jetzt überdeutlich, nicht nur eine extrem schlichtsinnige und redundante Schreiberin, auch das ganze angebliche Konzept der Mit-Rate-Potenz für den Leser rauscht fröhlich den Bach runter. Denn die Christie betrieb nicht nur krudeste Wahrscheinlichkeitsbeugung, sondern tilgte jede Art von Wahrscheinlichkeit schon im Ansatz. Und da kann man dann eben nicht mitraten.

Und weil wir gerade beim Thema Wahrscheinlichkeit sind: Es ist hochgradig unwahrscheinlich, daß aus einem Roman mit folgendem Strickmuster was wird: Detaillierte Kenntnis der Arbeitsweise von Feuerwehr und Brandstifter (hier anhand des Fire Department of New York) und oberflächliche Kenntnis der amerikanischen Kunstgeschichte des New Deal. Und dann kommt noch ein Literaturagent oder Lektor und verlangt nach endgeilen Weibern und steindoofer Dramaturgie. Das Ergebnis heißt in diesem Fall Raub der Flammen, ist von Peter Lance (Goldmann) und deswegen so ärgerlich, weil die Teile, die mit Brandstiftung & Co. zu tun haben, wirklich absolut spannend sind.

Hin und wieder kommen auch interessante Signale aus deutschen Federn. Die werden dann oft in der Schweiz verlegt. Beim kleinen Libelle Verlag etwa, der uns Der Schatten des Schwans von Ulrich Ritzel präsentiert. Ritzels Roman aus Ulm und um Ulm herum hat, neben einer recht plausiblen Grundidee (Nazi-Arzt wechselt Identität und wird zum Obermotz eines Pharmakonzerns), ein erfreulich gutes Auge für die Komik von behördlichen Entscheidungen und Polit-Filz. Und Ritzel muß, vermutlich weil Jahrgang 1940, nicht mehr das Junggenie geben, was der Klarheit seiner Prosa gut tut. Wenn er sich jetzt auch noch für die Polizei wirklich interessieren und deren Darstellung nicht von Stefan und Harry aus'm Fernseh' beziehen würde, dann könnte er gut werden.

Gut ist schon James Sallis. Dessen erster Band der Serie um den schwarzen PI Lew Griffin aus New Orleans, Die langbeinige Fliege (Dumont Noir) bietet, und dafür ist man schon sehr dankbar, keinen PI-Formelkram, sondern richtige Literatur. In vier knappen Abschnitten, die die Jahre 1964, 1970, 1984 und 1990 erzählen, bekommt die Figur Griffin mit all ihren Ups und Downs Kontur. Es geht zwar um ein Kontinuum an Tod, Gewalt und Verbrechen, aber die Tröstung eines durchgehenden Falles verweigert Sallis. Statt dessen reflektieren die vier Episoden des politische Großklima jener Jahre. Und Musik ist immer als stilbildendes Element präsent. Formal schließt Sallis damit direkt an Chester Himes an (dessen Biographie er auch geschrieben hat), und es mag mit diesem großen Vorbild zu tun haben, daß der weiße Schrifsteller Sallis die schwarze Perspektive seiner Hauptfigur hin und wieder übereifrig simuliert.

 

© Thomas Wörtche, 1999

 

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