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Leichenberg 10/1997

 

Einen profunden und gewichtigen Beitrag zur Erforschung der Kriminalliteratur liefert wie immer Thomas Przybilka. Diesmal erstellt er für das Werk von Ed McBain eine Auswahlbibliographie der wichtigsten "Kurzrezensionen" und "Erwähnungen" (auch anonyme) u.a. aus Finnland, Dänemark, Schweden. Unabdingbar zur Entschlüsselung von McBains Schaffen. Beigebunden ein ganzer Roman von Ed McBain: Der letzte Sprint (Bastei) von 1984, der in nuce schon alle Themen des folgenden Jahrzehnts (Sexual- und andere Täter) abhandelt. Mit atemberaubend guten Passagen - zum Beispiel die ersten fünf Seiten! -, endgültigen Worten zu Toupets und wirklich gemeinen Pointen.

Leider nur zu ein paar netten Genrebildchen aus Chile und Kuba reicht es bei Roberto Ampueros Bolero in Havanna (DIE), wobei besonders seine Exkurse ins lateinamerikanische Musikleben und seine giftigen Blicke auf die kubanische Gesellschaft zu loben sind. Leider taugt die Story über Rauschgiftschmuggel (wow!) und vertauschte Geldkoffer überhaupt nichts, weil sie so furchtbar an den Haaren herbeigezogen ist.

In gewissem Sinn an den Haaren herbeigezogen ist auch die Story von Don Winslows Die Auferstehung von Bobby Z. (Blessing), was bei diesem Märchen nichts macht, denn es geht Winslow um die reine action als ästhetisches Prinzip. Daß die Bösen auf die Backen kriegen und die Guten belohnt werden am Ende, begrüßen wir in diesem Rahmen heftig. Denn dafür sind Märchen gut.

Ein klassisches Märchen aus dem Jahre 1962 gibt es endlich wieder käuflich zu erwerben: Den Abenteuerroman resp. Polit-Thriller Die Rose von Tibet von Lionel Davidson (btb), eine wuchtige Mischung aus glasklarer Realpolitik (die Einverleibung Tibets durch die Chinesen) und Mystik (die damals noch nicht zum Mystipop verkommen war), mit Passagen über die Widerwärtigkeit des Tötens, die man Hunderten von neckischen Killer & Metzel-Autoren allerlei Geschlechts zur Pflichtlektüre auf die Festplatte brennen sollte. Davidson gehört zum Grundbestand des Jahrhunderts.

Dahin gehört auch Brian Moore. Mit seinem Gesamtwerk sowieso, denn der Ire schreibt eine erstaunlich präzise und kalte Prosa. Hetzjagd (Diogenes) ist ein weiteres zorniges Stück seiner Auseinandersetzung mit dem Katholizismus als machtpolitischem Faktor. Die Realien über die freudige "Kollaboration" der katholischen Kirche bei der Judenverfolgung in Frankreich während der Besatzung kann man zur Zeit in jedem Nachrichtenteil der aufgeklärten Tagespresse nachlesen.

Das Nachwirken der deutschen Besatzung spielt bei Léo Malets Paris-Krimis immer eine Rolle. Dennoch sind seine Nestor-Burma-Romane von kaum erträglicher Schlichtheit. Deswegen eignen sie sich wahrscheinlich so gut für Jacques Tardis geniale Zeichnungen, von denen man nicht genug kriegen kann. Kein Ticket für den Tod (edition moderne) ist wieder so ein Fall, wo der Comic den Roman an Bedeutung und ästhetischer Kraft weit überholt und aus einem simplen Textchen ein rätselhaftes, mehrdeutiges Abenteuer aus der großen Stadt macht.

Ein trotziges "Dennoch" steht am Ende von Robert Crais' ganz puristisch daherkommendem Privatdetektiv-Roman Falsches Spiel in L.A. (rororo). Es geht darum, wie geldgestützte "Klassenjustiz" funktionieren kann. Ein cleverer Anwalt versucht, die notorische Inkompetenz und Korruption des L.A. Police Department zu nutzen, um seinen ekelhaften Mandanten freizubekommen. Wenn genug Geld im Spiel ist, dann geht alles. Und dagegen läßt Ex-Miami-Vice-Autor Crais den älter, aber nicht weiser gewordenen Elvis Cole nebst seinem stoischen Sidekick Pike ankämpfen. Gegen die Aushöhlung einer liberalen Justiz durch Leute, für die "liberal" auch nur ein Slogan ist, um sich die Taschen zu füllen. Ein kitzliges Buch, nichts für Fans der einfachen Weltbilder. Aber seit langer Zeit mal wieder ein Beweis für die Tauglichkeit einer klassischen Form, die durch zuviele siebtrangige Schreiberlinge allerlei Geschlechts schon heruntergewirtschaftet schien.

© Thomas Wörtche

 

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