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Leichenberg 10/2016

 

Der Gefangene

Erinnern wir uns kurz ans Ende des letzten Jahrzehnts. Da erschien Mohammed Hanifs wunderbarer Roman Eine Kiste explodierender Mangos. Hey, schau mal, dacht man, ein Polit-Thriller aus Pakistan, nicht ganz lupenrein und ziemlich hochliterarisch, aber immerhin, und wo's gesellschaftlich gärt, entstehen auch bestimmte Literatursorten. Polit-Thriller, zum Beispiel. Und jetzt kommt Omar Shahid Hamid: Der Gefangene (Draupadi Verlag) - ein ziemlicher robuster, klassischer politischer Polizeiroman, der in Karachi spielt. Urban fiction pur, in einer Stadt von ca. 24 Millionen plus, einer Menge Sprachen (Urdu, Panjabi, Paschto, Sindhi etc.), und einer Menge Ethnien und Religionen. Dazu politisch zwischen Afghanistan und Indien eingeklemmt, Tummelplatz für jede Art gewaltbereite Organisation, für die Taliban, einer stramm autoritären Kaderpartei, der MQM (hier im Buch heißt sie "VF"), die im Grunde das Organisierte Verbrechen als staatstragend betreibt. Zwei pakistanische Geheimdienste und verschiedene Polizeieinheiten rivalisieren fröhlich und haben ihre jeweils eigene dunkle Agenda. An den Rändern tummeln sich CIA, FBI und Mossad und andere. In diesem Durcheinander ist gerade ein amerikanischer Journalist entführt worden, der in einem bestimmten Datum hingerichtet werden soll, was Pakistans internationale Beziehungen zum Westen irritieren soll. Obwohl es andere Stimmen in Pakistan gibt, die eine solche Störung begrüßen würden. Um den Ami zu finden, muss die Hauptfigur, Constantine D'Souza, Ex-Elite-Polizist und jetzt Gefängnisdirektor, einen alten Kollegen, der aus politischen Gründen einsitzt, motivieren: Denn der titelgebende Gefangene, Akbar Khan, ist der härteste und fähigste Cop von Karachi. Die beiden pflügen durch die prekären Gemengelagen, mal diplomatisch, mal eher robust. Dass »Der Gefangene« im Vergleich zu ähnlichen westlichen Texten eher langsam und mit viel Infos daherkommt, ist in diesem Fall verzeihlich, außer jemand kennt sich mit den Feinheiten der pakistanischen Gesellschaften schon bestens aus: Aber weil der Roman funktioniert, will man das alles tatsächlich wissen, und dann bekommt man plötzlich einen Begriff davon, was "Vielfalt" wirklich sein kann.

Song Dog

Von Pakistan nach Südafrika. Man freut sich ja durchaus, wenn alte metro-To-Do-Listen bis heute abgearbeitet werden. Der Unionsverlag bringt alle acht Romane um Lieutenant Tromp Kramer und Sergeant Michael Zondi von James McClure (1936 - 2006), beginnend mit Song Dog und Steam Pig neu heraus. Wobei man bitte beachte, dass werkshistorisch »Steam Pig« der erste Roman dieser Serie war, veröffentlicht 1971; das Prequel zu Serie, »Song Dog«, zog der Autor dann 1993 nach. Aber bei aller Philologie ist wichtig, dass McClure schon 1971 eine Art Blueprint dafür geliefert hat, wie viele südafrikanische Thriller und Kriminalromane bis heute ticken: Das gilt für Malla Nunn, gleichermaßen wir für Mike Nicol und eine Menge Autorinnen und Autoren, die die Folgen der Apartheid zumindest symbolisch durch Quotierung ihres Personals ausgleichen wollen. Natürlich hat und hatte sowas durchaus einen Haken in der Realität, aber James McClure macht schon sehr früh daraus ein politisches Statement. Dazu kommen seine großartigen Dialoge, seine "schwierigen" Figuren, seine ausgefuchsten Konfliktlagen und sein böser Blick auf Dinge und Menschen, um sie letztendlich human sehen zu können. Kurz, James McClure ist ein fürs Genre sehr wichtiger Autor und vor allem aber ein Autor sui generis, der dringend gelesen gehört (und das nur am Rande aus historischen Gründen).

Der Unfall in der Rue Bisson

Die Tradition, in der Matthias Wittekindt auch mit seinem dritten Roman um den netten, dicklichen Lieutenant Ohayon im ebenso idyllischen wie fiktiven Fleurville, unweit der deutschen Grenze, steht, ist evident: Georges Simenon und seine Maigret-Romane. Das ist sowieso eine sehr sinnvolle Tradition, denn Simenons Poetik garantiert viel Komplexität auf engem Raum. Wittekindt konzentriert sich in Der Unfall in der Rue Bisson (Nautilus) auf eine Gruppe beautiful people um die 30, die es schaffen wollen, in Fleurville, die nach oben wollen. Und deswegen "Freunde" sind... oder auch nicht. Als einer von ihnen bei einem Autounfall mit seinem 2002er BMW zu Tode kommt, viviseziert Ohayon, der einen bestimmten Verdacht nicht loswird, die ganze Clique und ihr Umfeld. Auch da bleibt Wittekindt dankenswerterweise auf dem Teppich. Da kommen keine ungeheuren Geheimnisse zum Vorschein, kein Komplott zur Vernichtung der Welt, kein irrer Killer (obwohl sich in der Peripherie eine sehr seltsame Gestalt mit deutschem Namen herumtreibt). Was Ohayon versucht zu enträtseln, sind menschliche Beziehungen, rätselhafte Relationen, das Gegenteil eines Masterplans oder Masterplots. Letztendlich eine Enquete, die sich mit der Kontingenz von Geschehnissen nicht abfinden will. Bei Simenon hatte man den Eindruck, er hätte diese Frage für sich gelöst, Matthias Wittekindt ist noch auf der Suche. Das ist spannend, auch weil Wittekindt ein sehr bewusster Prosaautor ist. Das sieht man zum Beispiel an der clever gemachten Dialektik von Sentenz und narration, die einfach Spaß macht.

American Blood

Nicht ganz so subtil geht es bei Ben Sanders' American Blood (Heyne) zu. Eine routinierte Undercovercop plus Rache plus Buddy plus Killer plus alte Liebe, naja... Nett angesiedelt, im Südwesten, Albuquerque, Santa Fe und so, als Kontrast zum bösen New York. Ben Sanders ist eigentlich Neuseeländer, hat aber die schnellen Codes zur Kurzkommunikation über diese Art von Stories auch für das Modul "USA" bestens drauf. Irgendwie durchbrechen oder ironisieren möchte er sie nicht. Also entkommt der Held aus den unmöglichsten Situationen, also killt der böse Killer so effektiv nicht, wie er konsequenterweise killen sollte. Ist schon okay und auch ganz unterhaltsam weg zu schmökern. Recht eigentlich ist sowas aber ziemliche Poser-Prosa, für die ganz harten Jungs, die über verdammt harte Männer zum 1000sten Mal lesen wollen, wie verdammt hart sie als Leser sind. Oder so.

Narconomics

Sehr schön auf den Punkt gebracht ist der Untertitel Ein Drogenkartell erfolgreich führen, den Tom Wainwright seiner Studie Narconomics (Blessing) gegeben hat. Ein Drogenkartell ist, von einem bestimmten Point-of-View gesehen, ein Wirtschaftsunternehmen wie jedes andere auch, also unterliegt unter anderem der betriebswirtschaftlichen Analyse. Drogenkartelle haben Probleme mit den human resources, mit Vertriebswegen, mit Rohstoffen und Marketing, mit PR und Security, mit sehr unterschiedlichen, sehr unruhigen Märkten, mit verändertem Konsumentenverhalten und natürlich den ganzen anderen Faktoren der Globalisierung. Wainwright schaut sich alles diese Faktoren an - minus denen, die man normalerweise im Zusammenhang mit Drogenhandel und -konsum schnell in die Debatte führt: Moralische, ordnungspolitische und ideologische Kategorien, die direkt auf die Prohibition zuführen, lässt er zunächst außen vor. Natürlich ist der Untertitel ein netter Zynismus, denn es geht Wainwright darum, den Punkt zu finden, an dem man den Drogenhandel effektiv angreifen kann. Und dafür ist seine wirtschaftliche Struktur und die berühmten "Gesetzmäßigkeiten des Marktes" allemal vielversprechender als der ideologische, Leichenberge und Unheil produzierende strafverfolgungsbesessene War on Drugs. Allerding fokussiert sich Wainwright zur sehr auf Lateinamerika und die USA, weswegen man parallel zu »Narconomics« die einschlägigen Bücher von Johan Hari, Moises Naim und Misha Glenny zur Kenntnis nehmen sollte.

 

© Thomas Wörtche, 2016

 

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