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Leichenberg 10/2004

 

Die ungeschminkte Wahrheit Achtung vor Genreliteratur. Achtung vor Krimi. Denn da steht der selbe Labelname unterschiedslos auf Schrott und auf Juwelen. Und oft werden die Juwelen unter den Auspizien des Schrotts diskutiert. Wer zum Beispiel Astrid Paprottas neuen Roman Die ungeschminkte Wahrheit (Piper) als Frauenkrimi diskutiert oder ihn in sonst eine Schublade wirft, hat schon verloren. Paprottas Buch tickt nämlich ganz anders: Ihre Hauptfigur, die Frankfurter Oberkommissarin Ina Henkel, die einen Kollegen erschossen hat und unter den traumatischen Folgen leidet, ihren Job manchmal nicht sehr kompetent erledigt und ihr Privatleben nicht auf die Reihe kriegt, erklärt sich nicht aus der literarischen Tradition der »melancholischen KommissarInnen mit Beziehungsproblemen«, sondern direkt aus der Realität. Und der Plot des Romans, der eine beängstigend rasante Entwicklung von einer Phantasmagorie hin zu knochenharter Realpolitik aus dem Themenfeld Innere Sicherheit nimmt, ist auch keine der üblichen Paranoia- und Verschwörungskisten, sondern dreht sich radikal realitätstüchtig um Menschen, die in dieser Gesellschaft keine Lobby haben. Und das darf man nicht mit Gutmensch-Gesülze verwechseln. Paprottas Perspektive auf den Gegenstand ihres Erzählens folgt keinen literarischen resp. intellektuellen Moden und Betriebsmechanismen, sondern dem, was auf den Straßen los ist, bzw. los sein könnte. Ein sehr albtraumhaftes Buch - und vermutlich deswegen hoch plausibel.

Schuss ins Schwarze Eher auf hart getrimmt sind dagegen die beiden Romane von George P. Pelecanos: Schuss ins Schwarze und Wut im Bauch (beide Rotbuch). Die Abenteuer des schwarzen PIs Derek Strange und seines weissen Ex-Cop-Freunds Terry Quinn bieten zwar beeindruckende und in der Tat harte Bilder aus dem abgewrackten Washington D.C, wo ein paar Kilometer vom Weissen Haus der nackte Bürgerkrieg herrscht. Diese Bilder aber sind eingebettet in sozialpädagogisch sittigende Predigten zu allen möglichen Mißständen, die die Figuren zu didaktischen Positionen degradieren und damit erstarren lassen. Pelecanos »holt seine Leser ab«, wie das so schön im Marketing-Dummdeutsch heisst - und führt sie dann in die Klippschule. Gut gemeint ist mal wieder das Gegenteil von gut gemacht.

Deswegen sei aus gegebenem Anlass - der Bibliothek der Süddeutschen Zeitung nämlich - auf einen Klassiker verwiesen: Die Freistatt von William Faulkner, dort gerade wohlfeil greifbar. Ein wirklich hartes Buch, ein Essential der Kriminalliteratur. »Der Einbruch der griechischen Tragödie in den Kriminalroman«, schrieb einst André Malraux, aber das ist falsch: Er ist das Äquivalent zur griechischen Trägödie im 20. Jahrhundert - denn das kann nichts anderes sein als ein Kriminalroman.

Der sizilianische Karren Ein Tragödie ist auch der Kampf von ein paar Richtern und Staatsanwälten gegen die Mafia. Einer der überlebenden »Mafiajäger«, Leoluca Orlando, ehemals Bürgermeister von Palermo, jetzt Europa-Politiker und sozusagen der natürliche Feind von Berlusconi, überrascht uns mit einem sehr persönlichen Anekdoten- und Episoden-Buch: Der sizilianische Karren (Ammann). Die Ikone, der Hoffnungsträger und das Symbol einer vernünftigen Zivilgesellschaft wird sichtbar als Mensch aus Fleisch und Blut, Naivität und Eitelkeit und deswegen als persistenter Charismatiker verständlich. Ein sehr schönes kleines Büchlein.

Zum Schluss nochmal kurz zur Inneren Sicherheit, die ja zur Zeit viel von neuer Identifikationstechnologie - Biometrie etc, Sie wissen schon - deliriert und dabei eigentlich nur Sozialkontrolle meint. Die historische Kontinuität und die andauernde Illusion eines solch frommen Glaubens zeigt das unterhaltsam geschriebene, aber mit harten Fakten belegte Buch des Luzerner Historikers Valentin Groebner: Der Schein der Person. Steckbrief, Ausweis und Kontrolle im Mittelalter (C.H.Beck). Pflichtlektüre wider lebensweltliche und literarische Naivität und Unbedarftheit.

 

© Thomas Wörtche, 2004

 

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