legal stuff Impressum Datenschutz kaliber .38 - krimis im internet

 

Leichenberg 10/2003

 

Am Anfang erstmal Trost. So wie man erst von geglückter Emanzipation der Frau reden sollte, wenn Frauen in ihrem Job ohne Konsequenzen so grottenschlechte Arbeit abliefern können wie die Kerle, so ist die globalisierte Wahrnehmung von Krimis nicht mehr aufzuhalten, wenn so unglaublich putzige und neckische Bücher erscheinen können wie Hotel Bosporus von Esmahan Aykol (Diogenes). Zum italo-deutsch-skandinavisch-usa-russo-Trend, die arme, alte Formel »Krimi« mit jedem noch so belanglosen Inhalt zu füllen, ist jetzt auch in der Türkei angekommen und für den deutschen Markt produziert. Na also. Deswegen ist die Hauptfigur auch eine Deutsche, die in Istanbul einen Krimibuchladen betreibt und sich deswegen berufen fühlt, einen Mordfall aufzuklären. Und bis es so weit ist, muß die Heldin sich vor an sich gewolltem Geschlechtsverkehr mit Polizisten (wenn ich`s richtig verstehe, das Schlimmste wo gibt) retten, einem bösen Kindersnuffporno-Ring auf die Schliche kommen, sich mit widerwärtigen deutschen Touristen rumschlagen und über Gott und die Welt plappern, plappern und plappern. Spannung, Dramaturgie, sorgfältig gesetzte Worte, irgendwie erkennbare Realitäten - solche schwierigen, sperrigen und im Grunde fürs Marketing überflüssige Dinge sucht man natürlich umsonst.

Plappern über Gott und die Welt ist auch die Hauptsünde der dänischen Kultautors Dan Turèll, der 1995 gestorben ist. Bastei beginnt jetzt mit einer Neu-Edition seiner Serie um einen namenlosen (Bill Pronzini läßt schön grüssen) Journalisten, der sich in den frühen 80s durch Kopenhagen säuft und kifft. Mord im Dunkeln heisst der erste Band, der zumindest ethnographisch hoch interessant ist, weil er ganz und gar am Zeitgeist jener Jahre klebt - und zwar oppositionell. Er ist ein Abgesang auf die Wonnen der 60s, und insofern damals vermutlich sehr nostalgisch-bluesig rübergekommen. Turèll gehört zweifelsohne zu den europäischen Klassikern. Ob das Prinzip heute noch zwölf Bände lang trägt, wird man sehen. Origineller als die ganze neue skandinavische Schule ist er aber allemal seinerzeit gewesen.

Richtig originell ist hingegen David Grands Körperfluchten, aus dem höchst lobenswerten Tropen Verlag, der uns schon den wunderbaren Jonatham Lethem präsentiert hatte. Dabei ist Grands Roman bloß ein period piece, ein historischer noir aus den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts. Aber genial gemacht: Grand erzählt die sehr blutige Geschichte einer Rache hochplausibel in die Spätfolgen des Ersten Weltkriegs gebettet und mit allen aktuellen Bezügen, die diese Zeit noch heute für uns hat: Die Vermischung von Politik, Wirtschaft und Organisiertem Verbrechen, die Verschleierung wirtschaftlicher Interessen hinter angeblich ideologischen Auseinandersetzungen und die Konsequenzen des ersten industriellen Tötens für den literarischen und künstlerischen Umgang mit Gewalt. Das 20. Jahrhundert wird das Jahrhundert der Bilder werden, diese Einsicht begründet Grands literarische Inszenierung. Wie wird hier nicht verraten, aber nachdrücklich auf diesen kapitalen Roman hingewiesen.

Laufende Bilder sind eigentlich und bekanntlich auch das Hauptmetier von Bernhard Sinkel. Aus einem (noch?) nicht realisierten Filmstoff hat er einen Thriller in Prosa gemacht: Bluff (dtv). Die Prosa ist dabei recht unauffällig geblieben, aber der Roman um einen damals in Stasi-Dienste gepressten Mann mit eidetischem Gedächtnis, der sich endlich an seinem Peiniger rächen kann, erfreut selbst den kompetenten Leser sehr mit flinken Twists, schnellen Haken und einem sehr clever ausgedachten Plot. Den Film muß Sinkel eigentlich gar nicht mehr drehen, der läuft beim Lesen ganz selbstverständlich im Kopf des pp Publikums mit.

 

© Thomas Wörtche, 2003

 

« Leichenberg 09/2003 zurück zum Index Leichenberg 11/2003 »

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen