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Leichenberg 10/2002

 

Zwei Planeten treffen sich. Sagt der eine zum anderen: »Was hast Du denn, Du siehst so schlecht aus?« Sagt der andere: »Ich hab Homo Sapiens.« Die Essenz dieses alten Witzes könnte der Ausgangspunkt von Der Zorn, dem Erstling des französischen Philosophieprofessors Denis Marquet (Lübbe HC) sein. Die Erde hat genug vom Menschen; die Natur will ihn loswerden und schlägt mit allen ihren Möglichkeiten zu. Selbst die eigenen Zellen wollen besagtem Homo Sapiens ans Leder. Das Sterben beginnt und am Ende ward eine Sintflut und nur die Guten und Reinen bleiben übrig. Was als nicht besonders orgineller, aber netter Katastrophen-Thriller anfängt, mündet - weil der Mensch doch eine arge Schweinebacke ist - am Ende in ein recht ridiküles Breichen aus allerlei New-Age-Quack, Mystipop und Eso-Fidelwipp, inklusive biblischer Zutaten. Literarisch arg schlicht, kalt auf dem Reissbrett entworfen, aber immerhin eine zeitlang mässig unterhaltsam. Eine sehr gute Idee macht halt noch kein Stück Literatur von 575 Seiten.

Nur 158 gar sehr übersichtlich gesetzte Seiten braucht hingegen Fabio Mongardi für Das stumme Urteil (Scherz). Eine konzentriert erzählte Dorfgeschichte aus der Emilia Romagna im heissen Hochsommer. Im Polizeiposten des Nestes, in dem die Handlung spielt, sind nur noch zwei Carabinieri übrig: Ein alter Haudegen und ein junger Anfänger. Ein rechter Ekelbatz aus der besseren Gesellschaft des Dorfes wird ermordet und der junge Polizist macht sich emsig an die Arbeit. Das ist falsch, denn das Dorf findet, dass der Ekelbatz zurecht abgeräumt worden ist. Ein sehr beklemmendes, schlankes Stückchen Prosa, das - wenn überhaupt - höchstens ein wenig unter seiner Parabelhaftigkeit leidet. Aber schon ein starker Text.

Leiden aber ist das Hauptmotiv von Arnaldur Indridasons Nordermoor (Bastei), einer bleischweren, witz- und humorfreien schauderhaften Familiengeschichte aus Reykjavík. Mit Tonnengewichten lastet alles auf dem melancholischen Polizisten Erlendur Sveinsson: das Wetter, seine rauschgiftsüchtige Tochter, allerlei scheusalige Menschen und schlimme, schlimme Schicksale. Dabei handelt es sich bei dem Roman durchaus um ein handwerklich grundsolides police procedural, das lediglich durch den depressiven Overkill, der permanent schon aus Skandinavien auf uns einhämmert, geschmälert wird. Sollte man vermutlich zusammen mit einem kleinen Suicid-Handbuch ausliefern.

Das totale Gegenteil ist eine gar nicht hoch genug zu lobende Wiederausgrabung - die Mutter aller Kochen- & Killen-Bücher: Die Schlemmerorgie von Nan und Ivan Lyons (Diana) aus dem Jahr 1976. Erinnern Sie sich noch an den wunderbaren gleichnamigen Film mit dem grossen Robert Morley als zynischer und witziger Gastronomiekritiker, dessen Lieblingsköche einer nach dem anderen in Menufolge und dementsprechend zubereitet umgebracht werden? Die Romanvorlage ist sogar noch schwarzhumoriger und radikaler, ganz und gar elegant, witzig, bösartig und sowas von sophisticated. Der Gute-Laune-Macher des Monats.

Und jetzt kommt etwas, was man eigentlich nicht macht. In dem Fall aber schon: Eine Kaufwarnung. Geben Sie keine EUR 29,80 für Reclams Krimi-Lexikon aus. Ich hoffe zuversichtlich, dass sich der Verlag besinnt und dieses Ding vom Markt nimmt. Denn es ist nur als grotesk zu bezeichnen. Sachfehler en masse, Fehlanzeige selbst bei den allerwichtigsten Autoren und Einschätzungen, die man höflich nur als absurd bezeichnen kann. Das Unternehmen ist von einer derartigen flächendeckenden Inkompetenz, dass ein reputierlicher und geschätzter Verlag es nicht riskieren sollte, sich damit den Namen zu ruinieren.

 

© Thomas Wörtche, 2002

 

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