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Leichenberg 10/2001

 

Nichts ist älter als die Fiction von heute. Die Realität überrollt manchmal allzu schnell die Literatur. So geschehen im Fall von Caleb Carrs Roman Die Täuschung (Heyne). Dort plant die Regierung der USA einen Feldzug gegen Afghanistan, weil die US-Präsidentin von einem anscheinend afghanischen Terroristen ermordet worden ist. Im Jahr 2024.
Erstaunlich ist das Buch aber dennoch. Carr war ja bisher (»Die Einkreisung«) eher im 19. Jahrhundert zu Hause, jetzt aber springt er in die Zukunft. Das ist aber paradoxerweise nur logisch, weil sein neuer Roman ebenso tief in der Geschichte, in der Literaturgeschichte nämlich wurzelt. Er ist, deutlich und gewollt, Jules Verne revisited. Stilistisch (soweit ich das an der Übersetzung sehen kann) und thematisch. Selbst die gute alte »Nautilus« ist wieder da - sie heisst zwar bei Carr nicht so und ist ein totschickes, waffenstarrendes, exquisit eingerichtetes Luft-Erde-Wasser-Vehikel, aber es ist einfach die »Nautilus«, in der mal wieder sehr seltsame Genies einen ebenso seltsamen Kreuzzug gegen die Moderne führen. Mit modernsten Mitteln, wie bei Jules Verne.

Liebenswert altmodisch wirkt dagegen Kommissar Kostas Charitos aus Athen. Für den alten Knarzkopf - misogyn, xenophob, von der Diktatur belastet und psychosomatisch in keiner guten Verfassung - ist liebenswert sicher nicht ganz der richtige Ausdruck. In Nachtfalter (Diogenes) lässt ihn Petros Makaris seinen zweiten Fall erleben, der nicht schön endet. Aber wenigstens ist Charitos kein postmoderner Kommissar, der die Zeichen des Genres nur richtig deuten muss, sondern eine gebrochene, realitätstüchtige Figur, die in der chaotischen, schmutzigen und stinkenden Big City Athen sehr pragmatisch mit ganz normalen Verbrechen fertig werden muss. Das ist liebenswert.

Immer weniger liebenswert werden die Figuren von Dennis Lehane. In Regenzauber (Ullstein) betreiben Patrick Kenzie, Angela Gennaro und der ultra-harte Sidekick Bubba lupenreinen Vigilantismus, nur um eine Familienfehde noch ekelhafter zu machen als sie eh schon ist. Am Ende sind sie gescheitert und ist die Welt noch versyphter, verrotteter und unerfreulicher, als sie je war. Kein schönes Buch, aber eines, bei dem man sich fragt, warum man solche Figuren faszinierend findet. Zumal auf ihnen nicht Anti-Hero draufsteht, wie es bei der schönen Anthologie der Fall ist, die Frank Nowatzki zusammengestellt hat (Pulp Master): Sieben Geschichten von Derek Raymond, Joe R. Lansdale, Paul Cain, Fletcher Flora, Buddy Giovinazzo, Dan J.Marlowe und Charles Willeford, die den noir historisch und aktuell durchdeklinieren - von grandioser Prosa bis zu schrillem Trash. Ob der noir als ständiges Dementi des common sense immer die wahren Wahrheiten hinter der Wahrheit formuliert, mag dahingestellt sein. Als Korrektiv zu allzu gemütlicher Harmonie ist er auf jeden Fall unverzichtbar.

Zum Abschluss bei soviel noir etwas eher Heiteres: Dachsjagd von Tony Hillerman (Rowohlt) - eine federleichte Geschichte über die komische Figur, die FBI-Leute abgeben, wenn sie durch Wüsten und Berge stolpern, durch Stammesland also, in dem eigentlich die Navajo Tribal Police das Sagen haben sollte. Jim Chee, der ewige Zauderer, und der sich inzwischen auf dem Altenteil langweilende Joe Leaphorn zeigen den Feds mal wieder, wo's letztendlich lang geht. Das ist zwar nicht innovativ, nicht originell und auch nicht sehr aufregend. Aber einfach sehr gut gemacht.

 

© Thomas Wörtche, 2001

 

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