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Leichenberg 09/1999

 

Es gibt Pseudonyme, die möchte man gar nicht knacken, weil dahinter vermutlich doch nur ein Textgenerierungsprogramm zum Vorschein käme: Virginia Doyle zum Beispiel hat einen Text namens Kreuzfahrt ohne Widerkehr (rororo) hervorgebracht, in dem Morden und Kochen nebst hintangehängten Rezepturen kombiniert sind. Für die Tiefenstruktur sorgt die Wilkie-Collins-Matrix, die auktioriales Erzählen, Tagebuch- und Brieffiktionen miteinander zufallsgeneratorisch vermischt. Daraus entsteht dann ein korrekter Whodunnit, formal perfekt und ohne einen sichtbaren Daseinszweck. Fein. Weniger fein die "Oeufes pochés Soubise" (vermutlich "Œuefs"?): Da werden erst die Eier pochiert und dann eine halbe Stunde im Wassern gammeln gelassen, bis die Abteilung "Soubise" gemacht sein will. Aua!

Was also tun, wenn das Text-Programm solche Abstürze liefert? Man greife zu Krimis schreiben. Ein Handbuch der Private Eye Writers of America, das Robert J. Randisi herausgegeben hat und das bei 2001 käuflich zu erwerben ist. Dort findet man auf 353 Seiten die Botschaft, daß man "Krimis schreiben" doch leider nicht lernen kann. Zwar erzählen Autoren des Subgenres von Jeremiah Healy über Lawrence Block bis Sue Grafton gerne, wie sie's machen, aber alle sagen auch gleich dazu, daß es doch jeder selber wissen muß. Die Illusion des "Wer will, der darf" zerpflückt im Schlußkapitel der Lektor Michael Seidman, der die Angelegenheit auf die ökonomischen Füße stellt. Aber auch das, fürchte ich, hindert niemand daran, unbedingt "Krimis schreiben" zu müssen. Wie furchtbar ...

Immerhin, ein dicker Name hilft schon, Texte veröffentlicht zu bekommen, auch wenn die eigentlich subdiskutabel sind. Crime Wave. Auf der Nachtseite von L.A. versammelt Texte, die James Ellroy (Ullstein) in den letzten Jahren für das Magazin "GQ" geschrieben hat. Da mischen sich Perlen wie ein kluger Essay über den Fall O.J.Simpson (von 1994) oder lakonisch genaue Kriminal-reportagen ("Leichenfunde", 1998) mit unsäglich albernen und spätpubertären fiktionalen Teilen ("Getchell" oder "Contino" ), deren Themen man aus anderen Werken Ellroys kennt. Eine widersprüchliche Mischung eines merkwürdigen Autors, der alles ist, nur keine sichere Größe.

Eine sichere Größe der amerikanischen Gegenwartsliteratur ist James Lee Burke. Das gilt jedoch nur, wenn man weiß, daß die US-amerikanische Literatur mehr ist, als die auf den europäischen Kulturbetrieb zugeschnittene Autoren wie Updike, Roth, Brodsky und Brodkey vermuten lassen. Burke, wie Elmore Leonard oder James Crumley, ist wegen seiner Schauplätze, Geschichten und Figuren nahe an dem, was man "auchtothon" US-amerikanisch nennen könnte. So auch in Dunkler Strom (Goldmann), dessen Originaltitel "Cimarron Rose" diesem spökenkiekerischen Alptraum aus Deaf Smith, Texas, bedeutend näher kommt. In jenem verkommen Kaff hausen merkwürdige Menschen, für die Schläge mit dem Kantholz zur Alltagskommunikation gehören. Burkes Inszenierung einer bösen Polit-Story als womöglich noch böseren family plot mit Verwebungen von Vergangenheit und Gegenwart, hebt den Roman weit über die Art Hinterwäldlerklamotte hinaus, die heute gern Country Noir heißt.

Das Land, in diesem Fall die Provence der 20er Jahren, ist Schauplatz des gewaltigen Romans von Pierre Magnan: Das ermordete Haus (Fretz & Wasmuth). Kriminalroman hin oder her (es ist ein lupenreiner Kriminalroman), das Buch gehört zum Grundbestand des Jahrhunderts. Bleibt die Frage, warum sich die deutsche Literaturlandschaft 15 Jahre für die Übersetzung Zeit gelassen hat.

 

© Thomas Wörtche, 1999

 

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