legal stuff Impressum Datenschutz kaliber .38 - krimis im internet

 

Leichenberg 09/2012

 

Der Cop

Der Showdown könnte auch in einem Western von Anthony Mann so aussehen: In einer Geisterstadt ("sieht aus wie die Vorschau aufs Jüngste Gericht") irgendwo in den Bergen von Kalifornien treten der Cop Ian Hunter und ein Kollege gegen zwei Psychopathen-Brüder an, dessen einer die Tochter des Cops seit Jahren in seiner Gewalt hat. Der Cop heißt auch der Roman von Ryan David Jahn (Heyne Hardcore), der vor zwei Jahren mit »Ein Akt der Gewalt« als Spezialist für Alpträume in Zeitlupe positiv aufgefallen war. »Der Cop« ist gradlinig, extrem robust und schräg metaphysisch. Cop Hunter tut alles, um seine Tochter aus den Händen des Widerlings zu befreien, der doch nur seiner irren Gattin ein heiles Familienleben nach "uramerikanischen" Werten bieten möchte. Mit Hackebeil und Schusswaffen macht sich Hunter auf die Suche (vgl. "The Searchers" von John Ford, z.B.), wird für sein emotionales und soziales Versagen als Vater heftig mit physischen Leiden gestraft, aber am Ende doch mit Liebe, Loyalität und Tapferkeit belohnt. Das Buch tut an manchen Stellen richtig weh, ein sehr, sehr protestantischer Roman über Blut und Mühen. Oft von wunderbarer Lakonie, plotmäßig zwar weitgehend überraschungsfrei, aber aus den Reservoirs der amerikanischen Populärkultur originell schöpfend. Spannender Autor, Ryan David Jahn!

Du bist das Böse

Trotz des leicht albern anmutenden Titels: Du bist das Böse, ist der Roman von Roberto Costantini (C. Bertelsmann) ein beeindruckender Wurf. Die zeitliche Klammer bilden die italienischen Fußballweltmeisterschaften 1982 und 2006. Während des Endspiels in Spanien verpfuscht die Hauptfigur, Michele Balistreri, eine Morduntersuchung, weil er wichtigere Dinge wie Frauen, Fußball und Saufen im Kopf hatte. 2006 geschehen wieder Morde, die an den alten, nie gelösten Fall von damals anknüpfen. Ein inzwischen vom Leben und Schuldkomplexen fertig gemachter Balistreri muss aufräumen, Schuld und Sühne in rauen Mengen. Costantinis Epos verzahnt sehr dicht Privates und Politisches, ein paar paranoide Grundhypothesen, dass z.B. Italien von konservativen Kräften noch mehr ins Chaos gestürzt werden soll, um eine starke, autoritäre Regierung zu legitimieren, teilt er z. B. mit seinem Kollegen Giancarlo de Cataldo. Bei Costantini wird diese Position umso akzentuierter und substantieller, weil sein gescheiterter und geläuterter Bulle Balistreri früher selbst dem Faschismus nahe stand, bevor er bei der Polizei Karriere machte. Wie Politik polizeiliche Ermittlungen lenken und blockieren kann, wie einerseits verwoben, andererseits konkurrenzhaft die verschiedenen Eliten agieren, wie Xenophobie und Rassismus (hier: Roma und Rumänen) funktionalisiert werden können und wie Italien immer noch mit seinen alten afrikanischen Kolonien verbunden ist, das alles thematisiert der Roman in faszinierender Weise. Wenn er eine Achillesferse hat, dann die: Weil »Du bist das Böse« obendrein ein Whodunit von heute sein und bis zur letzten Seite überraschen und brillieren möchte, wirkt er leicht überkonstruiert und dadurch ein wenig papiern. Aber das ist Kritik auf hohem Niveau.

Knochensplitter

Immer düsterer werden die Romane um Sgt. Logan McRae von der Grampian Police in Aberdeen. Komisch sind sie dabei immer noch und immer mehr, aber wer sagt, dass Komik lustig sein muss? Das Hauptthema aller McRae-Romane ist die allmähliche Korrumpierung eines Polizisten, weil er ein guter Polizist sein will, aber Polizeiarbeit eine Farce ist, weil die Polizei u.a. kein Reparaturbetrieb für eine völlig kaputte Gesellschaft ist, sondern part of the problem. In Knochensplitter (Manhattan) zeigt Stuart MacBride all den Rott, all den Betrug an menschlichen Seelen, all die mediale Verkommenheit rund um eine Casting-Show, die noch das Lösegeld für ihre entführten "Stars" vom Publikum einsammeln will. Satire würde ich das kaum nennen, eher vorausschauenden Realismus. Und wie immer bei MacBride: Düster, tragisch, grotesk, rustikal und sehr, sehr komisch.

Ein sehr kluger, komischer Roman in der (positiven) Tradition von Simmels »Es muss nicht immer Kaviar sein« kommt aus der Schweiz, auch wenn er in Wien bei Braumüller verlegt wird: Polarrot von Patrick Tschan. Polarrot ist die Farbe, die die Nazis für ihre Hakenkreuzfahnen brauchen und die ihnen der Schweizer Jack Breiter in großen Mengen verkaufen kann. Breiter ist Heiratsschwindler, Hochstapler und Bruder Leichtfuß, bis er sich in eine "Halbjüdin" verliebt und Probleme mit den Deutschen bekommt. Das ist sehr elegant geschrieben, lebensfroh und politisch - das Buch spielt teilweise im Jura, an der Schweizer Grenze zu Frankreich und thematisiert einen wunden Punkt der Eidgenossen: Flüchtlinge aus Deutschland und dem besetzen Frankreich unter gewissen Umständen direkt an die Deutschen überstellt zu haben. Breiter wird Held des Widerstands und verdient auch noch an guten Taten. Ein kleines Juwel von Roman.

 

© Thomas Wörtche, 2012

 

« Leichenberg 08/2012       Index       Leichenberg 10/2012 »

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen