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Leichenberg 09/2010

 

Tage der Toten

Wir könnten es aus den Nachrichten wissen: Mexiko steht kurz vor dem Kollaps. Optimistisch gesehen. Die verschiedenen Formen des Organisierten Verbrechens liefern sich regelrechte Kriege mit tausenden von Toten. So etwas hat Gründe. Und einer davon ist der berühmte "War on Drugs", den die USA seit Jahrzehnten gerne auf den Territorien ihrer lateinamerikanischen Nachbarn führen und der natürlich alles andere als ein Krieg gegen Drogen ist. Sondern einer um Drogen und um die damit verbundene ökonomische und politische Macht. Don Winslows kapitaler Roman Tage der Toten(Suhrkamp) hat diesen gewaltigen, panoramaartigen Hintergrund. Er erzählt vom Rachefeldzug eines DEA-Agenten gegen einen mexikanischen Narco-Clan - die Geschichte haarsträubender menschlicher Höllen innerhalb einer gigantischen politischen Katastrophe. Gewalt gegen Gewalt und nirgends eine Möglichkeit, Gewalt zu stoppen. Das ist kein Paranoia-Roman, sondern die komplexe erzählerische Umsetzung eines ausweglosen, weil auf Gier, Profit und Vorteil basierenden Szenarios namens Realität. Don Winslows opus magnum. Grandios!

Ebenfalls grandios Jenny Silers neuer Polit-Thriller Verschärftes Verhör (Fischer Tb). Wenn Geheimdienste im Auftrag demokratischer Regierungen Leute umbringen, ist das schlimm genug. Irre wird es, wenn sie Leute umbringen, nur auf den Verdacht hin, dass diese Menschen etwas wissen könnten, was den Diensten in ihrer Legitimation gegenüber ihren Demokratien schaden könnte. Aus diesem grusligen, realitätstüchtigen Szenario macht Jenny Siler hier ein neues Meisterwerk. Der Krieg in Afghanistan, Folter und Menschenrechtsverachtung, die wechselnden (Il-)Loyalitäten der Amis, die Profiteure an jedem Unglück und ein paar anständige Menschen sind Silers Rohstoff für komplexes, aber transparentes Erzählen, für Literatur mit starkem Thema und klarem Standpunkt, auf hohem Niveau.

Romanzo Criminale

Und noch ein umfangsmäßig und inhaltlich gewichtiger Polit-Thriller: Romanzo Criminale von Giancarlo de Cataldo (Folio). Eine schon fast mikroskopische, kunstvoll montierte pseudo-dokumentarische Studie über die intime Verknüpfung von Politik und Verbrechen im Rom der 1970er und 1980er Jahre. Keine Mafia-Klischees, keine Saviano- oder Petra-Retski-Folklore fürs deutsche Feuilleton, sondern ein Roman mit einem Riesenensemble kaum monströser, eher banaler und moralisch neutraler Figuren. Das ist unerbittlich präzise gemacht, verzichtet auf alle narrativen Taschenspielereien und sensationalistischen Thrills und erzeugt gerade deswegen einen Sog, der von der spröden Aneinanderreihung trüber Fakten und blutiger Taten ausgeht. Ein widerborstiges, aber wichtiges Buch mit einer Unzahl von Implikationen. Sozusagen die literaturgewordene Anti-These gegen der dummen Lektorats-Spruch: So geht das aber nicht. So geht das sehr wohl! Und wahrscheinlich wird es der Polit-Thriller sein, von dem am ehesten ein Kreativitätschub in der gerade von risikolosen marktgängigen Schmonzetten zugekleisterten crime fiction ausgehen kann.

Politisch ist auch explizit Frank Göhres neuer Roman Der Auserwählte (Pendragon). Die Rahmenhandlung ist ein typischer Göhre-noir über illegal aliens und Drogen in Hamburg. Darunter liegt aber eine Schicht, die mit den Selbstfindungsphantasien der guten alten '70s und '80s zu tun hat, die so gut und alt dann doch nicht waren. Nicht, weil die Ideen so bescheuert gewesen wären, sondern weil auch da homo sapiens und seine mörderischen Seiten mit im Spiel war. Göhre erzählt das anhand einer Kommune zur Beförderung befreiter Sexualität auf Gomera, die recht eigentlich der Beförderung ekliger Gelüste der "befreienden" ideologischen Schmutzels diente. Schöner, schneller, schmaler Roman.

Die Packard Gang

Eine Orgie in schwarz/weißen, komplex gefügten Panels ist Marc Malès' Comic Die Packard Gang aus der großartigen neuen Comic-Reihe schreiber & leser noir. Ein obsessiver Cop verbeißt sich nach fast 30 Jahren in einen eigentlich abgeschlossen Fall einer Bankräubergang, weil er noch offene Fragen hat. Er stöbert einen der aus dem Gefängnis entlassenen Gangster auf, der inzwischen zu Gott gefunden hat und in der Provinz ein beklemmendes Spießerdasein fristet. Es kommt zum Duell, aber nicht wie man meinen mag. Ein intensiv gezeichnetes und geplottes Album, das Kitsch-Noir-Klischees lauthals nicht bedient. Gut so!

 

© Thomas Wörtche, 2010

 

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