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Leichenberg 09/2009

 

Gott schütze Amerika

"Ich schlug die Augen auf und sah, wie die Ratte in meinen Kaffeebecher pisste." Der erste Satz von Warren Ellis' Roman Gott schütze Amerika (Heyne) wird vermutlich in der Hall-of-Fame der bemerkenswertesten Romananfänge landen - ob's das ganze Buch dorthin schafft, wissen wir noch nicht genau. Amüsant und streckenweise ziemlich komisch ist der Trip durch die deviantesten Ecken der puritanischen USA auf jeden Fall. "Porno ist mainstream", heißt es einmal und deswegen locken einem die putzigsten und erschröcklichsten Perversionen wie Makroherpetophilie (für "Leute, die Godzilla ficken wollen") oder Salzwasserinjektionen in Geschlechtswerkzeuge oder - fatalerweise - Brustvergrößerungen mittels Silikon aus dem Baumarkt oder oder oder... kaum noch hinter dem Ofen hervor. Dass es nichts gibt, was es nicht gibt - das erzählt die sehr komische Odyssee eines abgehalfterten Privatdetektivs und seines seltsam tätowierten Girlie-Sidekicks durch die einschlägigen Websites und Szenen einer total heuchlerischen und bigotten Gesellschaft. Als Roman mit Handlung taugt das Buch nichts - die Jagd auf eine "Geheime Verfassung" der USA ist ein lahmer MacGuffin, aber als realistischen Roman kann man das Buch sowieso nicht lesen. Alice in den Städten 2009, sozusagen, oder Alice im Ekelland, satirisch, parabelhaft, symbolisch.

Parabelhaft funktioniert auch Vamba Sherifs Roman Geheimauftrag in Wologizi (Peter Hammer). Auch wenn der Autor in Liberia geboren ist, meint der Roman keinesfalls nur westafrikanische Gegebenheiten, wenn er von einem Emissär eines Tyrannen erzählt, der in eine verlassene Grenzstadt kommt, wo die Gefolgsleute des Tyrannen einfach so zu verschwinden scheinen. Der Emissär soll die Angelegenheit aufklären und den Sauladen aufräumen. Angelehnt an südamerikanische Erzählmuster geht es um Macht und Gewalt. Um politische Macht, um persönliche Macht, um die Macht der Männer und die Macht der Frauen, um die Macht der Magie und um die Gewalt, die sie sich alle antun, nur um am Ende zu erfahren, dass es immer noch mehr Geheimnisse gibt als die, die man aufklären kann. Man kann das poetologisch lesen, man kann sich aber auch von einem klug gemachten, rätselhaften und erfreulichen spröden Roman irgendwo zwischen Polit- und Psychothriller begeistern lassen.

Mördermond

In einer anderen Provinz, in der sterbenden Kleinstadt Black Falls, irgendwo jwd in Neuengland spielt Chuck Hogans Erstling Mördermond (Heyne). Eine lakonisch erzählte Undercover-Story aus dem alltäglichen Wahnsinn, in dem gemordet wird, um das Böse fernzuhalten. Interessante Figuren, interessante Erzählweise, interessante Twists, ein bisschen unnötig ausufernd der Showdown, aber ansonsten ein feines und begrüßenswert komplexes Buch.

Erfreulich und komplex beginnt auch Bad Traffic von Simon Lewis (rororo). Ein hochrangiger chinesischer Polizist kommt nach England, um seine verschwundene Tochter zu suchen. Ohne local knowledge und ohne ein Wort Landessprache macht er sich bald auf einen blutigen Rachefeldzug. Der ethnographische Blick funktioniert also andersherum - von uns aus gesehen. Das macht den Reiz des Buches aus. Die Figuren sind gut, der Konflikt ist gut - nur ist leider die Erzähldramaturgie ein Desaster. Sinnlose Verfolgungsjagden, redundante Handlungsteile und langweilige Beschreibungen nehmen jeden drive und jede Dynamik aus dem Spiel. Und das ist definitiv schade.

Cowboy Joe

Definitiv erfreulich ist, dass der Österreicher Kurt Bracharz wieder da ist. Haymon bringt Cowboy Joe in einer überarbeiteten Neuauflage als Taschenbuch wieder, das Cover mit einer fiesen "Torpedo"-Illustration (also aus dem gleichnamigen Abuli/Bernet-Comic), zeigt, dass man richtig gute Retro-Trash-Cover machen kann: wenn man kann. Die Geschichte vom Streifenbullen, der zur Kripo will und dann doch am Ende nix als auf einen ruhigen Posten in den Bergen will, ist seit 1994 kaum gealtert. Sie hat Witz und Substanz und eine ganz und gar un-österreichische Denk- und Schreibart, was angesichts der inflationären Austriamanie nur zu loben ist. Dass Bracharz auch ein kluger Kopf ist, dessen Lektüre so ziemlich alle Bereiche von high und low, von Pop und Klassik, Schmutz, Schund und Philosophie, Comic und Lyrik, Film und Drama umfasst, zeigt das schöne literarische Tagebuch Für reife Leser (Haymon), für das der Verlag sogar ein Hardcover spendiert hat. Tu felix Austria!

 

© Thomas Wörtche, 2009

 

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