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Leichenberg 09/2008

 

Die Verschwundenen

Kriminalliteratur, hin und wieder muss man das sehr laut sagen, ist entschieden mehr als die Sturzflut belangloser Krimis, Grimmis, Thriller, Mystipop, Fidelwipp und Schlichtprosa, die sich zur Zeit über uns ergießt wie die berühmte Wasserflut im Emmental. Kriminalliteratur kann zum Beispiel sehr schön zwischen den Zeiten hin- und herspringen, und damit die verbrecherischen Signaturen der diversen historischen Abschnitte herausarbeiten. Wie das Meisterwerk des großen französischen Schriftstellers Jean-François Vilar: Die Verschwundenen (Assoziation A). Der Roman beginnt mit einer Entführung in den 1980s, mündet im welthistorischen Jahr 1989 und mäandert aus vielen Gründen zurück ins Paris und ins gesamte Europa des Jahres 1938. Politik und Kultur sind aufs Engste in der Story um den kleinen trotzkistischen Kommunisten Alfred Katz verzahnt, der inmitten der Boheme der Zeit, mit den Mordkommandos Stalins zu tun bekommt. Was aber nur ein kleiner Strang des Monumentalwerks ist. Der Roman ist "nicht einfach" in dem Sinne, dass er wunderbare Unterhaltung auf höchstem Niveau bietet und ein ganzes Panorama der spannenden 1930er Jahre zwischen Terror und Avantgarde. So grandios können Kriminalromane sein.

Und deswegen erscheinen dann Routine-Bücher von mittleren amerikanischen Autoren so fad. George Pelecanos' Der Totengarten (rororo) etwa. Stephen King hält ihn laut Werbespruch für "sehr wahrscheinlich de(n) beste(n) lebende(n) amerikanische(n) Krimi-Autor", was vermutlich ein Tippfehler ist - es müsste heißen: "wahrscheinlich der langweiligste...". Schlecht ist Pelecanos nicht, aber seine didaktisch aufgebratzelte Serialkiller- Geschichte aus Washington leidet wie alle seine Romane unter pädagogischem Eros. Und das macht keine gute Literatur aus.

Der Fahrer

Auch nicht so dolle ist Andrew Vachss' Rückkehr auf den deutschen Markt. Mit seinen Anti-Kinderschänderromanen und vor allem mit dem Interviewband (mit Claus Leggewie) "Über das Böse" hatte Vachss in den 1990s den Olymp der intellektuellen Peinlichkeit erreicht - das geschändete Kind (inklusive Adolf Hitler) als Quell alles Bösen auf der Welt und ein Debilbrutalo als Ein-Mann-Abhilfeunternehmen. In seinem neuen Buch Der Fahrer (rororo) immerhin lässt er diesen Unfug und legt ein Stück Rollenprosa mit der Stimme eines kleinkriminellen Junglumpis vor, der es mit einer schlechten Frau (Vonda!) zu tun kriegt. Ach ja... Das ist Lichtjahre von den Möglichkeiten entfernt, die zum Beispiel Patrícia Melo mit "O Matador" dieser Erzählperspektive abgewonnen hatte.

Eine etwas intelligentere Variante eines Klassikers liefert Iain Levison mit Tiburn (Matthes & Seitz). In das Leben und das Haus des ehrgeizigen Nachwuchshistorikers Elias White bricht wie weiland in der Vorlage, Joseph Hayes' "The Desperate Hours" (bei uns: "An einem Tag wie jeder andere"), ein Bankräuber auf der Flucht ein, setzt sich fest und beginnt ein Psycho-Duell. Bei Levison eines der eher komischen Sorte, bei dem auch noch eine FBI-Agentin aus dem Geiste der Coen-Brüder mitmischt. Das ist alles sehr vergnüglich gemacht und zeichnet ein dito vergnügliches, nicht sehr nettes Bild von homo sapiens.

Menschenfreunde

Auch nicht sehr nett sind die Menschenfreunde in Dieter Paul Rudolphs (Funny Crimes bei Shayol) gleichnamigem Buch - ein bissiger, polemischer, zeitweise satirischer, aber nie komischer Roman aus der Welt der Angestellten, dem nur sein Krimi-Charakter manchmal im Wege steht und mit überflüssigem Whodunit-Gedöns wie "Wer-war-wann-mit-wem-auf-dem-Parkplatz" nervt. Böse genau die Schilderung einer "E-Learning"-Firma mit angeschlossenem Sportsponsoring, sarkastisch präzise die Darstellung von Abzocke - Staatsknete - und Ausplünderung eh schon am Boden liegender Menschen. Und vor allem schafft es Rudolph eine derart beklemmende Atmosphäre aus miefigem Frustsex, schlechtem Essen, niedrigem Gedankengut und sowohl intellektueller als auch perspektivischer Enge erzählerisch aufzubauen, die einen nach Luft japsen läßt - das hat gar Gerhart Hauptmann'sche Qualitäten: Der Kohlsuppengeruch unserer Tage.

Am Schluß noch ein Klassiker: Anläßlich Ray Bradburys 80stem Geburtstag gratuliert Diogenes mit einer hübschen 3bändigen Ausgabe (Fahrenheit 451, Die Mars-Chroniken und Der illustrierte Mann) und einem dito hübschen 660 Seiten starken Story-Bändchen, Ausgewählte Erzählungen. Von Bradbury, dem großen Melancholiker, dem Tänzer auf allen Grenzlinien der Genres und dem dunklen Magier von small town America haben Legionen von AutorInnen gelernt. Und nur wenige haben seine Qualitäten erreicht.

 

© Thomas Wörtche, 2008

 

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