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Leichenberg 09/2003

 

Gerne delektieren wir uns am Weltuntergang, der dann doch nicht stattfindet. Eskapismus-Thriller, in denen Superhelden die Welt vor Superschurken retten und die Gigakatastrophe in letzter Sekunde abwenden - aber die wollen ja nur spielen. Die richten nix Böses an in den Hirnen von Lesern (vorausgesetzt die haben Hirne). Paradoxerweise gelten ausgerechnet solche Schwarten oft Jahre später als »prophetisch«, wenn eines ihrer Handlungspartikel in der Wirklichkeit auftaucht. Das ist aber nur Statistik. Ein verläßlicher Spezialist für diese Sorte farbenfroher, bumsfröhlicher Ex-und-Hopp- Unterhaltung ist seit jeher Jon Land. In seinem neuesten Schmöker Die Spur des Drachen (Bastei-Lübbe) will eine afrikanische Rebellenführerin die westliche Welt mittels allerliebster gefrässiger Kribbelkrabbelkäfer aus einem russischen Genlabor in Chaos und Verzweiflung stürzen. Daraus wird natürlich nichts, weil das politisch absolut korrekte Superagentenpärchen Danielle Barnea (Isreali) und Ben Kamal (Palästinenser) etwas dagegen hat. Bis es soweit ist, gibt es eine Menge Metzel, Päng, Knall, Knatter und Zisch. Für kindische Gemüter wie mich sehr zu empfehlen.

Zumindest ist so etwas eine mir sympathischere Sorte von l'art pour l'art als vor lauter Bedeutung prustende Bücher, deren Realitätsgehalt kein Gran größer ist als der von Superschlockern à la Land. Wie zum Beispiel Eismond von Jan Costin Wagner (Eichborn Berlin) - eine falbe Mär, die so sensibel erzählt über einen sensiblen Mehrfachtäter, der sensibel Leute umbringt, und einen sensiblen Polizisten. Sensibel, bis der Arzt kommt, sozusagen. Und als ob's eine Literatursatire wäre, stürzt sich ausgerechnet das Hochfeuilleton brummend vor Begeisterung auf das Buch. Das aber klemmt hinten und vorne, ist vor lauter tiefenpsychologischer Erbsenzählerei stocklangweilig, wartet mit sinnlosen Nebenhandlungen und überflüssigen Figuren auf und hat einen red herring auf dem in Leuchtbuchstaben red herring draufsteht. Da nutzt dann auch der ausgewalzte Manierismus der lyrisch untereinander stehenden Kurzsätze nichts mehr - aber die nähren immerhin den Hochliteraturverdacht. O sancta simplicitas!

Dabei kann man doch mit knappen, aber präzisen Sätzen so wunderbar erzählen, wie uns Dirk Schmidt mit seinem Erstling Letzte Nacht in Queens (rororo) beweist. Auch bei ihm ist die Genre-Frage ungeklärt, aber unerheblich, weil Schmidt eine starke Geschichte aus Queens zu erzählen hat, in der verpfuschte Raubüberfälle, ein dubioser Canaletto und Ben Webster wichtige Rollen spielen. Und wer kluge Sachen über Ben Webster zu sagen hat, kann schon mal kein ganz schlechtes Buch geschrieben haben. Deswegen hier nebenbei der Aufruf: Viel öfter Ben Webster hören! Schmidts Roman ist aber deswegen wirklich so gut, weil er ganz down-to-the-ground bleibt und trotzdem mit einer kleinen Perle der Erzählkunst seinen ersten Auftritt hinlegt. Applaus!

Natürlich reicht das Rumwerfen mit Kulturgut nicht für einen guten Thriller. In Tatjana Stepanowas Der süße Duft des Blutes (Bastei-Lübbe) veranstaltet eine durchgedrehte Truppe aus blasierten Lümmeln und Lümmelinnen in Moskau eine Art Snuff-Theater. Sie führen für ein exklusives, also zahlungskräftiges Publikum Oscar Wildes »Salome« mit Echtmord am Ende auf. Teilweise ganz spannend, aber meistens wirr erzählt und mit wirren Kommentaren zu Oscarchen, der das nicht verdient hat.

Die Überraschung des Monats kommt aus Österreich, heisst unauffällig Quoten-Killer, ist der Krimi-Erstling von Clemens Stadlbauer (Haymon) und ist ein grandioser slapstick-noir comme il faut: Bösartig, gemein, mies und sehr, sehr komisch.

 

© Thomas Wörtche, 2003

 

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