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Leichenberg 08/1995

 

Na wunderbar - als das geilste Qualitätskriterium für den Roman Übermorgen von Allan Folsom führt der Goldmann Verlag an, es sei "einer der teuersten Debütromane der amerikanischen Verlagsgeschichte". Wir gratulieren natürlich dem Agenten, denn mundus vult decipi, um mal wieder den alten Teddy zu zitieren. Und wer zuviel Geld hat, soll es ruhig aus dem Fenster schmeißen. Ruhig auch für einen Roman über den "abgetrennten, tiefgekühlten Kopf von Adolf Hitler", welcher anscheinend die Weltgeschichte bestimmt. Natürlich ist das Buch ganz pc-antifaschistisch gemeint, und dafür wird sogar Günter Grass zur Verstärkung aufgerufen. Aber bis es so weit ist, wird 588 Seiten lang geköpft und tiefgefroren und lecker-ganz-toll-diabolisch Nazi geseit. Ach ja, wenn's dem Abverkauf dient.

Apropos Nazis: Sternstunde der Mörder heißt der neue Roman von Pavel Kohut (A. Knaus). Er spielt in Prag während der letzten Tage der deutschen Besatzung. Dort müssen Deutsche und Tschechen notgedrungen zusammenarbeiten, um einen durchgedrehten Mörder zu fassen, dessen 'zweckfreies' Serial-Killing plötzlich und zunehmend politische Dimensionen bekommt. Obwohl das Buch fast alle Sünden des durchschnittlichen Serial-Killer-Romans begeht, ist Kohut dennoch ein Meisterwerk an Suspense, politischer Reflexion und literarisch genauer und beklemmender Atmosphäre gelungen. Für Schubladendenker jeder Couleur ein ziemlicher Brocken.

Was man leider von dem neuen Roman von John le Carré nicht behaupten kann. Der "Nightmanager" hatte ja berechtigte Hoffnung darauf gemacht, daß le Carré mit dem Ende des Kalten Krieges literarisch souverän leben kann und in neuen Themen neue Herausforderungen sieht. Umso schmerzhafter der Absturz von Unser Spiel (Kiepenheuer & Witsch). Die Anfangspassagen sind noch von gewohnter Brillanz, dann verfettet sich der Mittelteil zunehmend (le Carré verwickelt sich in eine Liebesgeschichte, bei der er nicht klarmachen kann, was daran interessant sein soll), das Ende jedoch ist schlichtweg jämmerlich: Kitsch & Pathos, wo beide nicht hinpassen. Aus dem scharfsinnigen Analytiker der bösen Welt ist ein Schwarmgeist geworden. Oder hat le Carré für die Altersweisheit noch keine adäquate literarische Form gefunden?

Von Altersmilde keine Spur bei Ross Thomas: Sein neues Buch Die im Dunkeln (Haffmans) sprüht wie eh und je vor Lakonie, Witz und gemeiner Denkungsart. Vielleicht wären früher noch zwei Drehs mehr im Plot gewesen, dafür ist jetzt Ross Thomas' böses Kichern und Grinsen über unser aller Tollhaus noch klarer und deutlicher zu hören. Irgendwann dereinst, wenn man die Literatur der letzten hundert Jahre sichten wird, wird jemand auf die grandiose Idee kommen, daß Ross Thomas' Romane immer wieder und immer schärfer ein Zentralthema des Jahrhunderts in ästhetisch elegante Form gebracht haben: Das Überleben in einer völlig amoralischen Umgebung. Letztere ist überall und deswegen sind seine Bücher auch überall gültig.

Nach dieser Lektüre kann einem Robert B. Parker nur noch leid tun: Er bastelt verbissen an der Legende des Mannes, der 1974 mit originellen, witzigen PI-Romanen angefangen hatte und immer mehr zur eigenen verblaßten Kopie geworden ist. Die unsichtbaren Killer (rororo-thriller) ist nur noch traurig: Spenser und Hawk und Susan Silverman klären tatsächlich einen 'Mord im Theater' auf, und versuchen verzweifelt, mit dem Zeitgeist zu gehen. Aber der ist schon lange über sie und ihren Erfinder hinweggeschritten. Peinlich und irgendwie fahl.

© Thomas Wörtche

 

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