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Leichenberg 08/2014

 

Black Heart

Es gibt Bücher, die man ungeduldig erwartet, auf die man sich einfach freut: Der dritte Teil der "Rache-Trilogie" von Mike Nicol ist so ein Fall. Nach »Payback« und »Killer Country« jetzt endlich Black Heart (btb). Die einem englischen Renaissance-Drama nachgebaute Geschichte der Rache einer "farbigen" (coloured) Frau an einem weißen Mann, die beide moralisch dubiose Figuren sind, schneidet wie mit einem Rasiermesser durch alle politischen Eiterbeulen von Südafrika. Die moralische Ambivalenz der Anwältin Sheemina February (ehemals in den Diensten der Apartheid), für die der Begriff "organisiertes Verbrechen" vermutlich erfunden wurde, und des weißen Waffenhändlers Mace Bishop (ehemals in Diensten des ANC), der mit dem bürgerlichen Leben nur sehr schwer etwas anfangen kann, ist bei beiden nicht Ausdruck von "gut" oder "böse". Moralische Indifferenz ist Resultat des widerwärtigen Apartheid-Systems, von dessen Überwindung und dann dessen moralischer Neuverschuldung hier und heute. Denn nicht nur Sheemina February, eine ikonische Figur der neueren Kriminalliteratur, hat verstanden, dass die aktuelle südafrikanische Regierung eine neue Großstruktur von Korruption, Ausbeutung, Kleptokratie und krimineller Indolenz bildet. Idealismus ist nur noch als Echo früherer Tage vernehmbar, die Fronten sind verwickelter denn je, und die Bevölkerung leidet. Mike Nicol transponiert all die grausigen Paradoxien (die man ja nicht nur in Südafrika beobachten kann) in einen sarkastischen, präzisen, blutigen und ziemlich gnadenlosen Polit-Thriller. Die Trilogie wird Bestand haben.

Die Istanbul Passage

Bestand hat ohne Zweifel das Werk von Eric Ambler (1909-1998). Das sieht man daran, dass es noch heute exzellente Romane gibt, die ganz und gar aus dem Geiste Amblers funktionieren: Die Istanbul Passage von Joseph Kanon (C. Bertelsmann) ist so ein Fall. Und das liegt nicht nur am Zeitpunkt der Handlung: Istanbul, direkt nach dem 2. Weltkrieg. Die Geheimdienste von Achse und Alliierten klappen in dem neutralen und deswegen extrem wichtigen Brückenpunkt zwischen Asien und Europa ein, beziehungsweise sortieren sich neu für die nächste Runde der Hegemonialkämpfe des 20. Jahrhunderts - für dem Kalten Krieg. Wichtig ist Istanbul auch als logistische Etappe für den Mossad, der überlebende europäische Juden nach Israel bringen möchte, was den Briten natürlich ganz und gar nicht gefällt. Und die Sowjets möchten auf ihren neuen Territorien wie Rumänien zum Beispiel, zeigen, wer der Herr im Hause ist. Was die Amis gerne sabotieren würden, auch wenn sie dafür faschistische Blutsäufer auf ihre Seite ziehen müssen. Die feuchten, klammen Nächte am Bosporus werden für einen sehr Ambler´schen Helden - einen amerikanischer Gelegenheitsagenten, der versehentlich seinen eigenen Chef erschießt -, zu fiesen Lehrstunden in angewandtem Machiavellismus mit einem Schuss ethischem "trotzdem". Spannend, klug, bedacht und sorgfältig erzählt. Und mit viel, viel Atmosphäre, siehe Eric Ambler.

Drohnenland

Locker, flockig und weitgehend rumpelfrei (Rumpelprosa ist die Crux vieler gutgemeinter Romane, die sich eines "Themas" annehmen) erzählt Tom Hillenbrand: Drohnenland (KiWi) ist ein Hybrid aus Krimi und ein bisschen Science Fiction, früher nannte man so etwas gerne Social Fiction. Das liest sich so flott runter und ist so clever gemacht, dass man erst später verwundert den Kopf schüttelt. Der Mordfall, zu dessen Lösung eine Menge technische Gadgets zu Verfügung stehen und der zu einer der handelsüblichen Polit-Krimi Intrigen führt, ist nach etlichen Jahrzehnten von Philip K. Dick über William Gibson bis zu Richard Morgan et al nicht wirklich aufregend, neu oder sonst wie spannend. An der Stelle kommt dann meistens das Argument: Aber für einen deutschen Autor... Tja, wir sind bescheiden geworden.

Gesetz des Todes

Andererseits ist schiere US-amerikanische Routine ganz nett zum Wegknabbern, aber auch nicht mehr: Gesetz des Todes von Robert Crais (Heyne) ist so ein Fall. Joe Pike (und nur am Rande sein PI-Partner Elvis Cole) rächt die Ermordung eines alten Kameraden, der angeblich kriminell geworden ist. Als Gegenspieler treten dabei allerhand Gangster aus Osteuropa auf, die sich im schönen Kalifornien niedergelassen haben - und die, so hat man den Eindruck, in vielen amerikanische Romanen zunehmend als die Allroundschurken hergenommen werden, was interessante demographische und ideologische Rückschlüsse erlaubt. Der Roman ist solide geplottet, hat schöne Action, gute Figuren, keinen Willen zu Kunst und nervt dennoch wegen der andauernden Feier militärischen Tugenden. Meine Güte, Kriminalliteratur als Boot-Camp und hirngewaschene Drill-Sergeants als Helden? So war das nicht gedacht...

Anima

Sehr originell beginnt Wajdi Mouawads Roman Anima (dtv). Der libanesisch-französisch-kanadische Autor lässt viele verschiedene Tiere von einem schlimmen Mord in Montréal erzählen und vom Rachefeldzug des Gatten der Ermordeten. Wir sehen und hören das Geschehen, dass sich allmählich von Kanada bis nach New Mexico erstreckt, mit den Augen, Ohren und anderen Sinnesorganen der unterschiedlichsten Tiere. Käfer, Möwen, Katzen, Spinnen, Schlangen und alles, was schwimmt, fliegt oder krabbelt beobachten, protokollieren und rapportieren einen jeweiligen Ausschnitt der Handlung. Nur das Schlusskapital, das alles noch einmal zum besseren Verständnis rekapituliert, wird von homo sapiens erzählt, der damit doch wieder die finale Deutungshoheit besitzt. Problematisch ist dabei - neben viel esoterischem Fidelwipp -, dass der Fabelcharakter der redenden Tiere (die alle perfekt die menschliche Sprache beherrschen) für einen Pseudorealismus herhalten muss, der, wie bei Katzenkrimis etc. zwar putzig und drollig, aber letztendlich albern ist, Auf jeden Fall viel zu leichtgewichtig, um einen zweiten, spät im Buch auftauchenden Handlungsstrang zu tragen: Der rächende Held muss sich auf die Suche (sagen wir queste, um die mittelalterlichen Konnotationen des Ganzen nicht ganz unter den Tisch fallen zu lassen) nach seinem Stiefvater machen, den er für einen guten Menschen hielt. Hier springt der Roman plötzlich ins Jahr 1982, als christliche Milizen zwei palästinensische Camps im Libanon vernichtet hatten. Die exzessiven Gräueltaten dieses Massakers schildert Mouawad mit kaum je gelesener Drastik (die sich im Showdown noch einmal wiederholt, als 2. Kursus, sozusagen) - aus einem eher schrulligen Eso-Krimi wird plötzlich etwas ganz anderes. Was das sein könnte, weiß ich nicht. Nur, dass der Roman viel zu viel will. Und das ist dann kräftig danebengegangen, wie das oft bei Fällen akuter Ambitionitis passiert.

Passend zur Sommerzeit Burn Out, ein großartiger Comic Noir von Antoine Ozanam (Text) und Mikkel Sommer (Bild) im Avant-Verlag - die unheimliche (auch wenn sie schon oft von von vielen Noir-Autoren erzählt wurde) Geschichte vom Cop, der, in verschiedene erotische Verhältnisse verstrickt, gegen sich selbst ermitteln müsste, sich verheddert, aber genau weiß, dass jemand anderer die Fäden zieht und dessen Chancen, heil aus der Nummer zu kommen, sehr gering sind. Klassisch. Effektiv beklemmend gezeichnet, in bedrückenden Farben, bedrohlichen Einstellungen und bizarren Entstellungen. Erfreulich.

 

© Thomas Wörtche, 2014

 

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