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Leichenberg 08/2012

 

Das zerbrochene Fenster

Familie ist ein gefährliches Pflaster. Das sagt nicht nur die reale Mordstatistik. Ross Macdonald hat sie als Neurosenherd für die Kriminalliteratur entdeckt. Und Zoë Beck schickt sich an, elegant wie Macdonald, radikal Familiengeschichten unserer Zeit zu sezieren. Das zerbrochene Fenster (Bastei) ist ein böses Buch über Schwestern und Schwäger, über Eltern, über Prestige und Selbstwert, über gesellschaftliches Gefälle, über Phobien und Obsessionen. Es geht um den verschwundenen Lebensgefährten einer Klavierrestauratorin, der nach sieben Jahren angeblich wieder auftaucht und die reiche Erbin eines schottischen Medienmoguls mit OK-Hintergrund ermordet haben soll. Spannend ist, wie präzise und analytisch-genau Beck mit klarem Blick die Relationen der Figuren - hauptsächlich eben Familienbeziehungen - zueinander ausbreitet und beschreibt. Dazu stimmige Dialoge, intelligente Plot-Twists, zielgenau Komik - ein literarisches Schwergewicht, das leichtfüßig daherkommt. Nur, fragt man sich, hasst der Verlag die eigene Autorin? Fast die Hälfte der immerhin 365 Seiten besteht aus Tagebuchaufzeichnungen einer Figur, gesetzt in einer lesefeindlichen dünnen Kursivschrift...

Die ehrenwerte Gesellschaft

Ein gesamtgesellschaftliches Panorama nehmen sich Dominique Manotti und DOA (Dead ON ARRIVAL - das gut gehütete Pseudonym eines preisgekrönten Autors) vor: Die ehrenwerte Gesellschaft (Assoziation A) - also tout Frongreisch, sozusagen. Die Atomindustrie, willfährige Polizisten und Staatsanwälte, bedenkenlos killende "Dienste", ein Sarkozy-artiger Präsidentschaftskandidat, verwirrte Bürgerkinder, opportunistische Linke, der "industrielle Komplex" und andere Zeitgenossen und Strukturen mehr, die das Leben so unerfreulich machen. Im eisigen Protokoll-Stil und mit hohem Erzähltempo fegen Manotti und DOA durch Korruption, Realpolitik, Machtverhältnisse und Illusionen, dass es nur so spratzelt. Ein Polit-Thriller im Nahkampf mit der Realität - und mit einem kleinen Hoffnungsschimmer. Klasse!

Das Kabul-Komplott

Weniger, viel weniger klasse, Das Kabul-Komplott von Cédric Bannel (Rütten & Loening) - ein Roman bei dem man ins Grübeln kommt, ob er eine Werbeschrift für den "gemäßigten Taliban" (was auch das immer ist) sein soll, will oder nur zufälligerweise ist. Als Deus-Ex-Machina in einer wirren Mär um die Beteiligung von CIA und anderen Geheimdiensten (im Hintergrund drohen die Chinesen) an großmaßstäblichen, kriminellen finanziellen Transaktionen, für die sich das Chaos in Afghanistan geradezu anbietet, agiert nämlich ein netter, aber doch dem Grundgedanken der Taliban (Staat ist nix Säkulares) zugetaner Mullah. Und der zieht den sittenstrengen, wenn auch ebenfalls netten Kriminalpolizeichef von Kabul, den Held des Buches, immer wieder aus dem Schlammassel. Zwischendurch gibt´s Infodump in großen Mengen, als ob wir noch nie gehört hätten, was so abgeht in Afghanistan. Das Alles auch noch stocksteif zum Vortrag gebracht. Ach nöö...

Wer schlafende Hunde weckt

Auch Christopher Brookmyer, der aus guten Gründen jahrelang nicht auf dem deutschen Markt Fuß fassen konnte, ist ein erzählerischer Langweiler von Gnaden. Galiani hat ihm netterweise mit Wer schlafende Hunde weckt ein Chance gegeben. Aber ach, die Gangster-Schote aus Glasgow, in der sich Polizisten pausenlos die Grundlagen von Polizeiarbeit erklären und wir auch ansonsten alles sieben bis zwölf Mal erklärt bekommen, rührt sich nicht vom Fleck und wenn sie sich rührt, ist sie so durchsichtig wie ein Roman fürs betreute Lesen. Angesichts so vieler richtig guter Autoren und Bücher aus der Gegend Nordengland/Schottland etc. ein deutlich überflüssiger me-too-Einkauf.

Die Sister Brothers

Und noch etwas hätte nicht sein müssen: Eine Killer-Story aus dem Wilden Westen, in der pausenlos geplappert wird, dann ein bisschen gekillt, dann wieder geplappert, ein bisschen tiergequält und wieder geplappert. Irgendwie hat man den Eindruck, Patrick de Witt wollte mit dem schon im Titel gewaltsam originellen Roman Die Sister Brothers (Manhattan) eine Art Pulp-Fiction-goes-Western-Nummer abziehen. Voll daneben, weder witzig, noch shocking, noch unterhaltsam. Schade.

Sehr empfehlenswert hingegen ein schmales, kondensiertes und rundum kluges Bändchen von einem der wichtigsten deutschen Autoren: Frank Göhre: I and I. Stories und Reportagen (Pendragon) - über u.a. Daniel Woodrell, James Crumley, Jean-Pierre Melville, das Amsterdam von Janwillem van der Wetering und Nicolas Freeling. Betrachtungen und Beobachtungen über Genre und Nichtgenre, über Film und Fernsehen, über Wahnsinn und Wirklichkeit, mit viel Sympathie, mit viel Wut und viel Freude am Schreiben und Denken verfasst.

 

© Thomas Wörtche, 2012

 

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