legal stuff Impressum Datenschutz kaliber .38 - krimis im internet

 

Leichenberg 08/2011

 

Der Mann  mit den roten Kugel

Im Grunde ist es egal, wann ein roman noir spielt. 1971/1972 hatte Jean-Patrick Manchette eine Drehbuchvorlage von Barth Jules Sussman zu einem Roman für das Haus Gallimard umgeschrieben: Der Mann mit der roten Kugel. Ein "Auftragswerk", das man lange nicht auf dem Schirm hatte, das aber der wackere DistelLiteraturVerlag als vorläufigen Abschluss seiner Manchette-Werkausgabe erstmals auf Deutsch herausgebracht hat. Artig garniert mit einem Vorwort von Doug Headline, also Manchettes Sohn, und einem Grußwort des ansonsten nicht sehr auffällig gewordenen Sussman. Zu Zeiten des Italowesterns, der ja oft mit Politik, Revolution und Klassenkampf hantierte, störte es kein bisschen, dass Manchettes Text letztendlich ein klassischer néo-polar wurde - eine sarkastisch und teilweise sehr komische Studie über Geld, Gewalt, Ausbeutung, Sex und Kapitalismus. Der Roman spielt nach dem amerikanischen Bürgerkrieg (wo zu der Zeit ein "Feuerwehrauto" herkommen soll, wissen nur Übersetzung und Lektorat), zu gesetzlosen Zeiten, in den Strafgefangene als billige Arbeitskräfte an private Unternehmer verliehen werden und in Chain-Gangs (deswegen die rote Kugel am Fuß), von sadistischen Aufsehern geschunden, schuften müssen. Einer der Häftlinge widersetzt sich. Ein typischer Manchette - lakonisch, brutal, analytisch, bösartig, mit überraschenden Sprüngen und völlig desinteressiert daran, was irgendwem gefallen könnte. Deutlich ein Nebenwerk, aber dennoch planetenfern von der damals grassierenden gefühligen "Sozialkritik" à la Sjöwall/Wahlöö und dem heutigen Kuschelkram für empfindsame LeserInnen...

Sechs Gräber bis München

Noch ein Frühwerk: Sechs Gräber bis München von Mario Puzo unter dem Pseudonym Mario Cleri (Edition Phantasia). Naja, Frühwerk, der Roman erschien 1968, ein Jahr vor Puzos Klassiker "Der Pate", hatte aber noch nicht die epische Wucht des Weltbestsellers. »Sechs Gräber bis München« ist eher ein kleiner, schmutziger Trash-Roman über einen amerikanischen OSS-Agenten, der von den Nazis in Frankreich gefangen genommen, bestialisch gefoltert und mit Genickschuss entsorgt wird. Nur tot ist er nicht, kann entkommen und kehrt als reicher Mann in den Jahren des Wirtschaftswunders in die BRD zurück und übt Rache an seinen Peinigern. Die Details des Romans sind teilweise bizarr zu lesen - Berlin als Welthauptstadt des Lasters, München als permanente Weißwurst-, Bier- und Kotzorgie -, sprachlich so grobschlächtig und schundig wie auch "Der Pate", aber eben auch mit bemerkenswert grandiosen Zügen. Puzo fällt mit erklecklicher Scharfsicht über die Nachkriegs-Selbstgefälligkeit der Bundesrepublik her, zeichnet mit wenigen Strichen die Kontinuität der Eliten und die Heucheleien des Kalten Krieges. Zudem zieht er auch noch eine ziemlich intelligente Diskussion über Schuld und Vergebung in den Text ein. Gut, dass dieses kleine Schmuckstück jetzt endlich auf Deutsch erhältlich ist.

Tod auf Bewährung

Noch ein Klassiker, erstmals auf Deutsch: Tod auf Bewährung von Didier Daeninckx (Liebeskind), in Frankreich erschienen 1984, bei uns nur in der Comic-Fassung von Jacques Tardi unter dem Titel »Den Letzten beißen die Hunde« (bei der Edition Moderne) bekannt. Thema ist, wie oft bei Daeninckx, die Ursünden des heutigen Frankreichs, der Umgang mit der eigenen Geschichte. Hier geht es um ein paar extrem unappetitliche Episoden im Ersten Weltkrieg, mit denen der Privatdetektiv René Griffon im Paris der frühen Zwanziger Jahre zu tun bekommt. Ein unglamouröses Paris der Vororte und Industrieviertel, Arbeitermilieu, bevölkert von Krüppeln und Irren, Kriegsopfer und Zielscheiben patriotisch-nationalistischer Politik, die die nächsten Katastrophen schon in sich tragen. Daeninckx' Furor trieb ihn schon damals zu genauer Recherche, atmosphärischer Akkuratesse und intellektueller Komplexität, die aus dem Roman heute noch weit mehr als ein retro-mäßiges Museumsstück machen.

Genauso wie es immer noch den Finnen Pentti Kirstilä zu entdecken gilt, auch wenn Den Göttern trotzt man nicht (Grafit) der mittlerweile fünfte Roman ist, den es auf dem deutsche Markt gibt. Er stammt aus dem Jahr 1981, aber auch das ist ziemlich egal, denn Kirstiläs stilles, fast verschrobenes Erzählen, die langsame, überraschende Detailgenaugkeit, die feinst ziselierten Figuren und der Witz, der sehr tongue-in-cheek ist, funktioniert prächtig. Dass die Geschichte über einen pickligen Vielleicht-Mörder, die auf Sizilien beginnt und im Hohen Norden endet, genauso abgedreht ist, überrascht kaum. Feinkost!

 

© Thomas Wörtche, 2011

 

« Leichenberg 07/2011       Index       Leichenberg 09/2011 »

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen