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Leichenberg 07/2016

 

Ein neuer Feind

David Ignatius' aktueller Roman Ein neuer Feind (Rowohlt) ist ein sehr optimistisches Buch. Es glaubt, so kann man den Eindruck haben, an die Selbstheilungskräfte eines prekär gewordenen Systems. Zum Beispiel an die CIA. Er schildert die im Zuge der Zeit nach 9/11 heruntergekommene, korrupt und ineffektiv gewordene Behörde, die sich über die Freirechtsrechte der Bürger hinwegsetzt, als bedrohte Institution: Whistleblower à la Snowden und eine ungute Internationale von Hackern bedrohen den Apparat und damit die westliche Welt. Die Bedrohung sitzt im Apparat selbst, die Loyalität der IT-Genies in der "Firma" scheint zweifelhaft. Ein neuer Chef soll Remedur schaffen. Der, Graham Weber mit Namen, kommt von außen, er war selbst ein IT-Unternehmer, bevor er ohne geheimdienstliche Erfahrung den Laden unternimmt und ausgerechnet seinen IT-Chef darauf ansetzt, eine besonders prekäre Bedrohung von Cyber-Attacken abzuwehren. Aber ausgerechnet dieser Supernerd hat Verbindungen zu Organisationen, die am liebsten gleich die ganze Welt destabilisieren wollen. Der neue Feind also. So scheint es zumindest. Denn in den ineinander verschachtelten anderen Geheimdiensten und deren Kontrollinstanzen auch im Weißen Haus sitzen Hardliner, von denen Reformwillen und Bürgerrechte misstrauisch beäugt werden und die zudem von der seltsamen Agenda umgetrieben werden, die CIA aus dem langfristig angelegten Würgegriff der Briten zu befreien, die die Gründung und Ausrichtung der CIA im und nach dem Zweiten Weltkrieg als immer noch koloniales Instrument betrieben hatten. Hardliner und Hacker ziehen letztendlich an einem gemeinsamen Strang, wobei die Russen und Chinesen letztendlich die Finanziers und Unterstützer der Hacker und Whistleblower sind. Woran die Hardliner nicht schlecht verdienen. Ignatius betreibt einen riesigen Aufwand, der leider am Ende wie eine Seifenblase in sich zusammenfällt. Nach vielen mäandernden Wendungen, inklusive der topischen Maulwurfjagd, bleibt eine Palastintrige übrig, die vom richtigen Mann am richtigen Ort niedergeschlagen werden kann. Das ist dann nicht mehr optimistisch, sondern wunderlich naiv und angesichts der historischen Dimension (diese fiesen Brits!) sogar obskur.

Die Stunde der Entführer

Einen immensen Aufwand treibt auch Robert Wilson in seinem neuen Roman Die Stunde der Entführer (Goldmann). Sechs Kinder der reichsten und mächtigsten Menschen der Welt (darunter auch ein Aldi-artiger Deutscher) werden gekidnappt und mit grausamer Folter und Tod bedroht, wenn nicht die gesamte Welt zeitnah von ihrem neoliberalen Treiben ablässt. Logistik und Finanzkraft der Entführer sind gigantisch und als sie 150 Millionen Pfund über London verstreuen, kommt auch Wilsons Serienfigur, der Entführungsspezialist Charles Boxer ins Grübeln. Ungeheure Dinge scheinen sich anzubahnen. Aber nach dem finalen Shootout und nachdem wir eine Menge Eltern-Kinder-Gefühligkeiten und Beziehungstangos aller Art mitdurchlebt haben, bleibt eine ziemlich läppische Rachegeschichte übrig, die eine rechtsradikale Verschwörung innerhalb der USA stoppen soll. Es kreist der Berg und gebiert eine Plot-Maus.

Der Bruder

Mit zeitgeistig schicken Themen ist auch Joakim Zanders Der Bruder (Rowohlt Polaris) gespickt. IS-Terrorismus und Lifestyle, Drohnenangriff und russische Security-Firmen, marginalisierte Immigranten in einer schwedischen Trabantenstadt, Geheimdienstaktivitäten und New Yorker Bohème, globale Jugendrandale und manipulierte EU-Rechtsgutachten, all das hängt irgendwie mit allem zusammen. Der human touch dieser Geschichte liegt in einer Bruder-Schwester-Geschichte unter arabischen Immigranten in Schweden. Die Schwester wird Trendscout, der Bruder, nach einer schnellen Entwicklung vom depravierten Kleinkriminellen zum IS-Kämpfer und zurück zum desperadohaften Rächer. Das ist gefällig und glatt gemacht, aber letztlich eben nur ein gut geöltes Plotmaschinchen, das Konsistenz in einer komplizierten Welt behaupten muss, um noch die disparatesten Elemente unterhaltsam und stylisch zusammen zu knoten.

Power Play

Kleinteiliger und deshalb plausibler ist Mike Nicols Power Play (btb). Eine gemeine, bösartige Gangster-Geschichte, frei nach Shakespeares "Titus Andronicus", was allerdings schon fast den Schlußgag verrät (sorry). Es geht um die illegale Abalone-Fischerei, ein Thema, das Nicol schon 2005 zusammen mit Joanne Hichens in "Out to score", später nochmal als "Cape Greed", am Wickel hatte. Seeohren, so heißen die Dinger putzigerweise auf Deutsch, sind vor allem auf dem chinesischen Markt begehrt und weil die Chinesen sowieso heftig in Südafrika investieren, ergeben sich sehr fiese politischen Implikationen, die einen brutalen Bandenkrieg auslösen. Mitten drin Personen, die wir schon aus Nicols Rache-Trilogie und anderen Büchern kennen. Unter anderem der undurchsichtige Geheimagent Mart Velaze und Krista Bishop, die Tochter des ehemaligen Security-Unternehmers Mace Bishop, die die Firma auf "feministischer" Basis weiterführt. Das ist gekonnt straight durcherzählt, mit dem giftig-ätzenden Blick, den Nicols als verzweifelt wütender Chronist seines Landes, das er vor die Hunde gehen sieht, kultiviert hat.

Weinende Wasser

Vermutlich weil man Südafrika als trendy für Kriminalliteratur einschätzt, kommen jetzt auch Romane der dritten oder vierten Garnitur auf den Markt. So wie Weinende Wasser von Karin Brynard (Bastei). Ein sicherlich gut gemeinter, aber tröger, steifleinener und biederer Whodunnit der altmodischen Sorte ohne literarische Dimension (Malla Nunn etwa kann old fashioned, aber eben mit einer Menge poetischer Einbildungskraft) und ohne jedes Überraschungselement. In der Branche nennt man sowas ein "Me-too-Buch".

Um überhaupt ein etwas konturierteres Bild von Südafrika heute zu bekommen, lohnt es sich, den dicken, aber spannenden Sachbuch-Wälzer Tod am Kap. Geschichte des Burenkriegs von Martin Bossenbroek (C.H. Beck) zu lesen. Es erklärt einiges an den heute noch virulenten Frontlinien zwischen der schwarzen Bevölkerung, den Coloured, den Uitlanders, den Briten und Buren und den Fäden der internationalen Großmachtpolitik, die schon damals für Gewalt und Blutvergießen sorgten.

Und manchmal gibt es auch einfache, aber schöne Genüsse: Wie Ellis und Masters' Comic Spin Off von Ian Fleming's James Bond 07 - Vargr (Splitter). Eine herzzerreißend simple Handlung: James Bond, heute nicht mehr 00, sondern nur noch 07, rettet die Welt vor einem irren Serben, der die Menschheit mit tödlichen Drogen überschwemmen will. Inszeniert ist das Rabaukenstück in wunderbar klar strukturierten, luziden, in eisigen Farben kolorierten Panels, die beinahe auch ohne Text funktionieren würden. Was andererseits schade wäre, weil die Textteile ein paar sehr bissige Bonmots etwa über das bittere Los britischer Spione, die immer nur Merkels Telefonate abhören müssen, bietet. Sehr vergnüglich, das Ganze.

 

© Thomas Wörtche, 2016

 

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