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Leichenberg 07/2010

 

Würde

Die interessanteste Kriminalliteratur aus Südafrika kommt von einem Autor, der eigentlich keine Kriminalromane schreibt. Sondern Romane, die sich unter der Hand in Crime Fiction vom Feinsten verwandeln: Andrew Brown hat mit Würde (btb), seinem zweiten Roman nach »Schlaf ein, mein Kind« diese Vermutung bestätigt. »Würde« betrachtet die Republik Südafrika aus den Augen nigerianischer halbillegaler Immigranten, die ums nackte Überleben kämpfen müssen. Die Gegenperspektive liefert ein weißer, satter upperclass-Anwalt, der anfangs mit nur leicht schlechtem Gewissen für das Organisierte Verbrechen arbeitet und im Laufe der Handlung vom Saulus zum Paulus werden möchte und sogar an ein Happy End glauben will. Aber die gibt's in der Konstellation, in die er gezogen wird, nur im Märchen. Noch nicht mal in der Literatur. Ein eher leises, aber radikales und an manchen Stellen auch drastisches Buch, für das der totgekaute Begriff "illusionslos" wirklich einmal zutrifft. Zudem verzichtet Brown explizit auf die ganzen folkloristischen Afrika-Zutaten, mit denen viele seiner Kollegen in letzter Zeit so sehr genervt haben. Die klare, sachlich-kühle Beschreibung von Gefängnis-Interna und dem politischen Einsatz von Gewalt (auch sexueller Gewalt) ist eindrücklicher als jede Schlachteplatte.

Kühl und elegant sind auch die Merkmale von Zoë Becks Thriller Das alte Kind (Bastei Lübbe). Merkmale, die einem bei deutschen Psycho-Thrillern nicht unbedingt sofort einfallen. Beck schreibt auf internationalem Niveau, mit einem fast highsmith'schen Blick auf die kleinen, fiesen Gemeinheiten, auf die unauffälligen Desaster links und rechts im Leben. Und mit einem maliziösen Feeling für die eher verwickelten Dinge des Daseins, die, wenn man sie Dritten darstellen möchte, ziemlich irre rüberkommen. So fängt das Buch auch an: Eine Mutter beschwert sich im Krankenhaus, dass man ihr Kind vertauscht hat. Niemand glaubt ihr. Man hält sie für bekloppt. Diesen Albtraum dröselt Beck auf, und dabei gebiert er immer neue Albträume on the rocks. Klasse!

Groucho Marx, Meisterdetektiv

Richtig lustig sind Ron Goularts Groucho-Marx-detective-novels, die zwischen 1998 und 2005 erschienen sind: Groucho Marx, Meisterdetektiv heißt der erste Band, der gerade bei Phantasia Paperback Crime erschienen ist. Ron Goulart, ein Heroe meiner frühen Lesejahre, dessen "When things fell apart" von 1970 vermutlich einer der komischsten SF-Romane ist, wenn ich mich richtig erinnere, machte vermutlich kein Hehl daraus, dass seine Groucho-Marx-Bücher eine direkte Reaktion auf den Erfolg von Georg Baxts Celebrity Mysteries waren, aber was macht das schon? Wir schauen Groucho gerne zu, wie er durch das Hollywood der 1930er Jahre fegt und keine Anspielung auf den Zeitgeist jener Jahre auslässt. Sehr vergnüglich. Ein kleiner Wehmutstropfen: Die irren Groucho-Sprüche kommen auf Deutsch nicht so witzig und abwegig rüber wie sie es eigentlich sollten. Too bad.

Spannend und lehrreich ist ein anderes Stück Historie: Die Flucht aus der Hölle von Albert Londres (Verlag Edition AV/Libertäre Bibliothek 4). Ein Text über den Anarchisten Eugène Camille Dieudonné, der wegen angeblichen Bankraubs in die französische Strafkolonie Guayana deportiert wurde (wir kennen ähnliches aus "Papillon"), entfliehen konnte und sich in Brasilien mit dem französischen Pendant zu Egon Erwin Kisch, Albert Londres, unterhielt, der dieses Bändchen 1928 publizierte. Polit-Thriller und Abenteuerromanstoff galore, angesiedelt an der systemisch noch weit unterschätzen Schnittstelle zwischen Anarchismus, politischer Gewalt, krimineller Gewalt und deren literarischen Konsequenzen, weit über Léo Malet hinaus. Vorzügliches Bändchen!

Ein Juwel in Bildern ist die Comic-Umsetzung von Dennis Lehanes Story »Bis Gwen« durch die Bilder von Jacques de Loustal: Coronado (schreiber & leser noir). Die Lakonie der Story einer sehr unschönen und finalen Vater & Sohn Beziehung, reflektiert in den flächigen, mit ausgefuchster Farbdramaturgie arbeitenden Bildern von Loustal, knüpft direkt an die Kooperation des Zeichners mit einem anderen großen Kriminalautor, mit Jerome Charyn an. Und weiterhin gilt: Niemand beherrscht die narrativen Nuancen der Farbe blau so genial wie Loustal. 94 Seiten ästhetisches High End.

 

© Thomas Wörtche, 2010

 

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