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Leichenberg 06/2007

 

Stadt aus Blut

Jetzt hat man jahrzehntelang Serialkiller und andere soziopathischen Unholde so schick und fancy hochgemotzt, gruselgestylt, mit dem Hackmesser geturbotuned und scheusalhaft aufgebretzelt, dass sich niemand mehr vor ihnen fürchten mag und man stattdessen gleich wieder den guten alten Horror hervorkramen kann. Charlie Huston zum Beispiel macht das sehr schön - mit Vampiren und Zombies und wer weiß noch mit was für Viechzeuch. Stadt aus Blut (Heyne) heisst der erste Band eines wollüstig-ekelhaften Zyklus mit viel Blut, Gekrös und Modder, in dem sich die genannten Gruppierungen hübsche Revierkämpfe in Manhattan liefern als wären sie street gangs. Das hat pulp-Qualität: Das pure Vergnügen an schrägen Figuren, apokalyptischen Szenerien, action und Sensation, schrillem Witz und herzschmerztriefender Schmonzette - ohne klammheimlich die bessere, tiefere, sinnvollere Literatur sein zu wollen. Gut!

Katzenaugen

Ganz schrecklich tolle Literatur möchte Katzenzungen von Tony Strong (rororo) sein, der vor einiger Zeit mit »Auf meiner Haut« immerhin ein sehr gelungenes Buch vorzuweisen hatte. Umso enttäuschender und verheerender hier diese Schmuddelporno-Schwarte über dämonische Charismatiker, dumme Serialkiller und über ein Oxford, das aus den feuchten Träumen des Studentinnen-Reports, Teil 32, entsprungen scheint. Der ganze abstruse Unfug wird auch noch von den Überlegungen einer aufstrebenden Nachwuchswissenschaftlerin zum Thema "Der Kriminalroman an und für sich und überhaupt" begleitet, die so grottig doof sind wie das ganze Buch. Jungejungejunge...

Seit Jahren auch dringt Munkeln über den Atlantik, wie toll die Romane von Greg Rucka doch seien. Jetzt könnte sich erstmalig das deutsche Publikum an einem Rucka-Roman, an Dschihad (dtv) ergötzen, wenn es da Ergötzliches gäbe. Tut es aber nicht: Eine lustlose Geheimdienstschwarte aus der Abteilung: Der-Krieg-gegen-den-Terror-ist-schlimm-aber-wir-sind-auch-völlig-skrupellos. Durchsichtig, öde und nur mäßig lustig. Als gebe es von Eric Ambler bis Robert Littell keine Standards für Politthriller. Solche Bücher zielen deutlich auf ein Publikum, dem Standards vermutlich völlig schnurz sind. Oder dem man erfolgreich eingeredet hat, Standards seien völlig schnurz.

Schlafende Engel

In diese Kategorie gehört auch Schlafende Engel von Michael Collins (btb). Collins ist ein feuilletonnotorischer Literat, der endlich mal dem American Dream die Maske vom Gesicht reißt, die amerikanische Kleinstadt als Ort der schlimmen Neurosen gnadenlos decouvriert und die durchgehende Korruption der Gesellschaft flammend anklagt. In schockierenden Bildern schwärzester Verzweiflung, ganz noirnoirnoir und noir - mit einem Kind im Engelskostüm als symbolisch schwer bedeutsamen Opfer. Und das Essen und die Frisuren und das Wetter und die Landschaft und die ganzen Leute sind auch Scheiße! Selten so gelacht...

Zur Entspannung wirklich milde kichern hingegen kann man bei Ian Sansoms nettem nord-irischen Märchen Bücher auf Rädern (Piper), wahrlich kein richtiger Krimi, obwohl ein netter Hobbydetektiv eine verschwundene Bibliothek finden muss. Aber ein charmantes Plädoyer für die Lektüre von Carl Hiaasen und Elmore Leonard, auch wenn das Lachen gerade schwerfällt.

Caesar

Ein richtig guter Politthriller ist einmal mehr Gisbert Haefs gelungen: Sein Caesar (Heyne) erfreut wegen der Erkenntnis, dass historische Romane dann sinnvoll sind, wenn ihre Figuren in den Parametern ihrer Zeit handeln und denken - spannendes politthriller-fähiges Material bietet die Epoche zwischen Republik und Kaisertum allemal. Und für Fans der Antike baut Haefs zwei wunderbare Referenzen ein: An Plutarch und an Catull.

Ganz stark ist der neue Roman von Christine Lehmann: Allmachtsdackel (Ariadne). Lehmann ist notorisch unterschätzt, ihre Bücher um die gendermäßig oszillierende Lisa Nerz aus Stuttgart sind präzise Romane aus der Provinz und über die Provinz, ohne auch nur in die Nähe von "Regionalkrimis" zu kommen. In diesem Buch geht es ganz konzise und konsequent um das, was Religion in Menschen anrichten kann, die dann wiederum Katastrophen an anderen Menschen anrichten. Ein Kommentar zur globalen Situation, situiert im Schwabenland, ohne schein-aktualistischen Bezug. Christine Lehmann kann das, souverän und überzeugend.

 

© Thomas Wörtche, 2007

 

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